Fahrbericht 6/2021

Volvo FMX 500 6×4-Kipper mit Meiller-Dreiseiten-Kipp-Pritsche

Mit der Neuauflage des FM und des Bau-Ablegers FMX läutete Volvo vor einem Jahr eine neue Ära für seine mittlere Baureihe ein. Die ist jetzt schon rein optisch erwachsener, weil das Fahrerhaus des FH die Reihe prägt. Wir fuhren den FMX als 6×4-Dreiachskipper mit 500 PS und allem, was gut und sinnvoll ist.

Volvo FMX 500 6x4-Kipper
Der Volvo FMX 500 mit angetriebener Liftachse ist ein extrem wendiger Allround-Kipper, der mit sehr guter Fahrbarkeit, weiter Gangspreizung und viel Sicherheit durch diverse Assistenzsysteme glänzt. (Bilder: bd/Domina)

Der Volvo mit der fliehenden Stirn ist also endgültig Geschichte. Der Generationswechsel zum neuen FMX ist noch ziemlich frisch: Gerade erst letztes Jahr stellte uns Volvo Trucks die neuen FM und FMX vor. Erwachsen sieht der FMX jetzt aus. Die neue, vom FH abgeleitete Kabine mit steil aufragender Windschutzscheibe bietet nun wesentlich großzügigere Platz- und Sichtverhältnisse.

Szenenwechsel zum Volvo-Truck-Center Augsburg: Dort hat uns Volvo Deutschland eine richtige FM- und FMX- Demoflotte bereitgestellt. Wir schnappen uns den FMX 500 6×4-Kipper, aufgebaut mit einer Dreiseiten-Kipp-Pritsche von Meiller samt Bordmatic links. Dazu gibt’s einen Tandemachs-Kippanhänger, sodass dieses Gespann für 40 t Gesamtgewicht gut ist. Der 6×4 ist ja gemeinhin der Alleskönner im Fuhrpark: solo ein wendiger, traktionsstarker Allrounder, der in diesem Fall (Leergewicht 12,4 t) 13,6 t Nutzlast tragen kann. Mit einem leichten Tandemachser am Haken sind nochmal rund 9 t Nutzlast zusätzlich drin, sodass das Gespann auf 22 bis 23 t Nutzlast kommt. Das ist deutlich mehr als die 17 t eines 8×4-Solokippers und fast so viel wie die 25 t einer Sattel-Kombination. Von der Arbeitskraft her also ein äußerst effektiver Geselle.

Pro & Kontra:

sehr gute Fahrbarkeit
Schalt-Programme i-Shift
Assistenzsysteme
großer Verbrauchsvorteil durch Liftachse bei Leerfahrt
Traktionsgewinn bei Leerfahrt, enorme Wendigkeit im 4×2-Betrieb
etwas mehr Wanken mit gelifteter Achse
Dynamic-Steering-Einstellung zu komplex

Aber der 6×4 kann noch mehr. Gerne dient er im Baugeschäft etwa als Zugmaschine für den Baggertransport auf einem leichten Tieflader. Mit etwas Ballast-Kies auf der Ladefläche erreicht man eine Bomben-Traktion auch auf kritischen Böden und Steigungen. Wenn alle Sperren gesetzt sind, will der 6×4 zwar gerne nurmehr stur geradeaus – aber die Traktion passt.

Volvo FMX 500 Vorderachse
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Nun kann Volvo noch ein paar Gadgets, also technische Spielereien, aus dem Komponenten-Regal beisteuern, die den FMX als 6×4-Kipper von der Konkurrenz abheben. Da ist zum einen das Crawler-Modul – eine echte Volvo-Spezialität: Es verdoppelt praktisch die Übersetzung eines Getriebes und sitzt als etwa 10 cm breiter Baustein zwischen dem Grundgetriebe und der Kupplungsglocke. Damit sind vorwärts Übersetzungen bis zu 1:32 möglich, rückwärts gar bis 1:37 – und damit extrem langsame Rangiergeschwindigkeiten. In einer Sekunde legt der FMX damit bei Leerlaufdrehzahl nur rund 25 cm zurück. Zum Vergleich: Die Anfahrgänge bei normalen Getrieben liegen so bei 1:14 bei einem Fernverkehrstruck. Das reicht ja auch für Anfahrvorgänge mit fein dosierter Kupplung. Im Leerlauf ist diese Kombi dann aber schon mit 0,5 bis 0,6 m/s unterwegs – in der Rangier-Praxis ein Riesenunterschied. Derart kurz übersetzt, sind kupplungsschonende Anfahrvorgänge in kniffligen Situationen für den FMX mit Crawler-Modul ein Kinderspiel.

Zum anderen spielt bei diesem FMX die liftbare Antriebsachse mit. Derzeit können nur Volvo und Sisu dieses sinnreiche Zubehör ab Werk anbieten. Bei Leerfahrt lässt sich die letzte Achse im Doppelachs-Aggregat abkoppeln und per Luftfederbalg anheben. Dann mutiert der 6×4 zum 4×2. Mit dem Effekt, dass sich die Wendigkeit dramatisch verbessert: Ist die letzte Achse gelupft, dreht der 6×4 gefühlt wie auf dem Teller. Wir haben spaßeshalber mal eine Drohne aufsteigen lassen, um das Ganze aus der Luft zu dokumentieren. Dankenswerterweise hat uns der Laderfahrer in der Kiesgrube von Andreas Thaler in Neusäß eine Fläche planiert. Wie mit dem Zirkel gezogen, konnten wir ein paar Spurkreise einfräsen und anschließend vermessen. Ergebnis: 12,5 m Durchmesser im Außenkreis, 6,5 m im Innenkreis. Das sind schon außerordentlich kompakte Kurvenradien. Die enorme Wendigkeit kommt auch den 6×4-Zugmaschinen im Kippsattel zugute.

Wir haben es in unseren bd-Kippertests mehrmals gezeigt: Ob im 8×4-, 6×4- oder 6×4-Kippsattel – die angetriebene Liftachse verbessert die Leerfahrt-Traktion, erhöht die Wendigkeit und spart nicht zuletzt Reifen. Preislich ist der Mehraufwand mit etwa 3.500 Euro Aufpreis (Liste) zu verschmerzen. Dazu kommt, dass auch beladen die Traktion profitiert. Per Tastendruck lässt sich die letzte Antriebsachse entlasten, was den Aufstandsdruck auf die erste Antriebsachse kurzzeitig erhöht. Auch diese Lastverschiebung kann für das letzte Quäntchen Extra-Traktion sorgen.

Ein ausgefuchster Antriebsstrang also. Zudem sehr effizient und doch robust. Für Robustheit sorgen die doppelt übersetzten Außenplanetenachsen, die ja die enorm hohen Drehmomente der Crawler-Gänge verkraften müssen. Das I-Shift-Getriebe ist dann als Direktgang-Getriebe ausgeführt, die Gesamtübersetzung von 3,33 an den Hinterachsen ist vergleichsweise lang gewählt. Bei 85 km/h dreht der 500er-FMX gemütliche 1.060 Umdrehungen. Das passt gut für die Autobahn, für die Landstraße ist der Elfte dann richtig, mit gut 1.020 Umdrehungen bei 65 km/h. Trotz der langen Übersetzung kommt der 500er dank 2.500 Nm Drehmoment spielend mit den Steigungen auf der A8 zwischen Augsburg und München zurecht. Geradezu lässig grummelt der Schwede mit einer Schaltung die meisten Hügel hoch. Eine noch genauere Anpassung an Ausladung und Topographie erlauben die in der Getriebe-Software hinterlegten Fahrprogramme. Bei unserem Exemplar heißen sie: Economy, Standard, Performance und Offroad. Die Differenzierung geschieht meist über die Wahl der Schaltpunkte, die je nach Programm früher oder später die Gänge wechseln. Im Offroad-Modus kommen noch schnellere Gangwechsel und Kupplungsvorgänge hinzu.

Ob es die 500 PS aus 12,8 l Hubraum bei einem Dreiachser braucht, darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein. Den FMX gibt es schließlich auch mit dem etwas leichteren 10,8-l-Triebwerk. Der kleine Motor leistet dann 330, 380, 430 oder 460 PS. Letztere sind die Frucht aus immerhin 2.200 Nm bei entsprechender Drehzahl. Der 12,8-Liter kann freilich mehr: 420, 460, 500 und 540 PS, das maximale Drehmoment reicht hier bis 2.600 Nm. Mit dem größeren Hubraum ist man jedenfalls bei schweren Einsätzen und hoher Ausladung auf der sicheren Seite. Ist die Topographie flach, tut’s der 10,8-Liter sicherlich auch.

Mit der M-Neuauflage bekam auch der FMX die digitalen Armaturen, wie wir sie vom FH kennen. Das ist insofern ein Gewinn, als mehrere Ansichten des Zentralbildschirms wählbar sind. Die Grafiken sind klar und scharf gezeichnet, die waagrechte Balkenanzeige des Drehzahlmessers ist nun deutlich besser ablesbar. Gesteuert werden die Armaturen-Darstellungen über die Lenkradtasten der rechten Seite. Da muss man sich ein wenig hineinfuchsen, bis sich Routine einstellt. Die Tasten der linken Lenkradspeiche steuern alle Tempomat- und ACC-Funktionen. Das ist eingängig und geht schnell in Fleisch und Blut über. Das gilt auch für den neuen Bergab-Tempomaten. Mit einem Tastendruck wechselt man von I-See mit oder ohne adaptiver Geschwindigkeits-Regelung in den Bergab-Modus. Gesetzt wird die momentane Geschwindigkeit bei Tastendruck. Jetzt ist es einfach, per Minustaste die Bergab-Geschwindigkeit anzupassen. Um die passende Rückschaltung kümmert sich Kollege Computer, bis ein Gleichgewicht aus Retarder (sofern vorhanden), VEB+ Motorbremse und Motor-Bremsmoment erreicht ist. Das funktioniert geschmeidig und schonend für den Antriebsstrang.

Volvo FMX 500 mit Meiller-Kipp-Steuerventil
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Verständlich, dass Volvo seine Demofahrzeuge mit allen nur denkbaren Assistenzsystemen ausstattet. So sind auch bei diesem FMX – neben den erwartbaren Kandidaten Spurwarner, Hillholder und Abstandswarner – der aktiv eingreifende Spurhalte-Assistent, die elektrisch unterstützte Lenkung Dynamic Steering und ein radarbasierter Abbiege-Assistent verbaut. Letzteren nennt Volvo korrekterweise Spurwechsel-Unterstützung – und genau das macht das System: Es überwacht den Raum rechts neben dem Fahrerhaus und warnt optisch und akustisch, wenn sich ein Fahrzeug, ein Fußgänger oder Radfahrer im Toten Winkel verbirgt. Dazu braucht es keinen Bildschirm, eine Warnlampe in der A-Säule reicht hier völlig aus. Wer will kann sich zusätzlich einen Summer über das Sekundär-Display einprogrammieren.

Mit dem Spurhalte-Assistenten ist es so eine Sache. Ich tue mich manchmal schwer damit und empfinde die Lenkeingriffe als zu aufdringlich. Es hängt von der Straße ab. Auf der Autobahn zum Beispiel arbeitet der Rückführ-Assistent ziemlich unaufgeregt und zurückhaltend. Auf der Landstraße fehlen oft deutlich Spurmarkierungen, sodass der Spurhalte-Assistent entweder gar nicht oder eben zu heftig reagiert. Da fahre ich dann lieber ohne. Und stelle mir die Lenkung auf stabil ein. Hier ist der Geradeauslauf befriedigend ruhig. Die Einstellmöglichkeiten sind ja vielfältig bei dieser Lenkung, bisweilen sogar verwirrend.

Ob ein Kipper ein langes Fahrerhaus mit bequemer, 70 cm breiter Liege braucht – kommt drauf an. Immerhin kostet die lange Hütte gut 40 cm Ladelänge (2.380 zu 1.970 mm Fahrerhaus-Tiefe) und ein paar Kilo extra. Auf der anderen Seite profitiert der Fahrer durch ein Plus an Raumgefühl und eine Übernachtungs-Möglichkeit, wenn der Bagger mal wieder besonders weit zu überführen ist. Fakt ist: Das Bettchen liegt zwar so hoch, dass nur 60 cm Raum bis zu den hier verbauten, hinteren Hängeschränken übrig bleiben. Das engt die Sache – zumindest beim niedrigen Standard-Haus – ein wenig ein. Sehr cool ist allerdings die Verdunkelungs-Strategie: Während die seitlichen Fenster mit Vorhängen für Privatsphäre sorgen, schließt das hintere, große Fenster lichtdicht mit einem eleganten Rollo.

Neben vielen anderen Eigenschaften ist es genau diese wertige Anmutung, die den FMX kennzeichnet. Man muss ja nicht jedes Gadget dazu kaufen. Aber in Sachen Sicherheit, Traktion und Wendigkeit macht den Göteborgern hier keiner was vor.

Robert Domina