Staumauerbau Grimselsee (CH)

Am Berg ist alles anders

Wölfe sind anpassungsfähig – das beweisen auch zwei Wolff-Wipper 1250 B Wipper auf der Staumauer-Baustelle Spitallamm am Grimselsee. Im hochalpinen Gelände wurden die beiden Riesen auf das extra für dieses Projekt entwickelte, 6 x 6 m messende Turmsystem TV 60 montiert. Sie werden in den nächsten vier Jahren für die Arge Grimsel die neue Staumauer Spitallamm der Kraftwerke Oberhasli errichten und dabei der harschen Witterung trotzen.

In nur zwei Wochen montiert, sind die beiden Wolff-Wipper 1250 B nun bereit für ihren vierjährigen hochalpinen Einsatz am Schweizer Grimselsee. (Bild: videobilder.ch)

Rund 1.900 m über dem Meeresspiegel lag zum Montagetermin der beiden Wolff-Wipper im Juni noch immer Schnee am Grimselsee. Dennoch konnte – dank gutem Wetter und reibungsloser Transportlogistik – das achtköpfige Wolffkran-Montageteam die beiden Wipper mit 70 und 75 m Auslegern in nur zwei Wochen auf ihre jeweiligen Endhöhen von 92,1 und 87,1 m montieren. Da auf der extrem engen Baustelle so gut wie keine Krankomponenten gelagert werden können, erfolgten die Anlieferungen just-in-time. Und das bei insgesamt 70 Lkw, die alle über die kurvige Passstraße zur Baustelle gelangen mussten. Auch die Vormontage der einzelnen Komponenten des Drehteils auf engstem Raum verlangte dem Team, unterstützt von einem 500-t- und einem 150-t-Mobilkran, einiges ab.

Als ob die beiden 1250 B nicht schon beeindruckend genug wären, sind die eigentlichen Stars auf der Baustelle die extra für dieses Projekt entwickelten XXL-Turmstücke – 14 Stück wurden bereits im Spätsommer des Vorjahres an der Grimsel montiert und haben ihre erste Winterprüfung mit Schneehöhen von über 10 m erfolgreich bestanden. Mit jeweils sieben TV 60 pro Kran und einer Gesamthöhe von 35 m bilden sie die standhafte Basis für die beiden freistehenden Wipper, die mit zehn bzw. neun TV-33-Turmelementen nun auf ihre finalen Höhen montiert wurden.

Da eine Demontage der Krane für die Winterpause inklusive Abtransport und Lagerung der Kranteile enorm aufwendig und unwirtschaftlich gewesen wäre, entschied man sich, die Wipper während der gesamten Bauzeit von vier Jahren auf der Baustelle stehen zu lassen. Um für die harschen Winter gewappnet zu sein, mussten die Wolffkran-Planungsingenieure das gesamte Krankonzept neu denken: „Abspannungen am Felsmassiv oder an der Staumauer waren weder technisch noch wirtschaftlich eine Alternative“, sagt Rolf Mathys, Geschäftsführer Wolffkran Schweiz. „Freistehende Krane, die maximale Lasten bis 20 t und bei Ausladungen von 75 m immer noch über 11 t bewegen können und dabei Windgeschwindigkeiten bis 220 km/h, Lawinen und Vereisung standhalten, waren mit dem regulären Wolff-Turmsystem und Standardberechnung für den 1250 B nicht machbar. Alles musste von Grund auf neu berechnet und geprüft werden – wir bewegen uns auf der Grimsel in ganz anderen Dimensionen.“

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Als Ergebnis der aufwendigen Detailplanung wurde das XXL-Turmelement TV 60 mit 6 m Seitenlänge entwickelt. Weitere Neuerungen sind der Verbindungsrahmen VR 3360, um das TV 60 mit den Standardturmelementen TV 33 (Seitenlänge 3,30 m) zu kombinieren. Außerdem das verstärkte TV 33 S, das speziell für die hohen statischen Anforderungen am Übergang zwischen Verbindungsrahmen und TV 33 angefertigt wurde. „Zwischen Projektanfrage und Montage der neuen Turmelemente lagen nicht einmal zwölf Monate“, so Mathys.

Sowohl die Entwicklung der TV-60-Turmelemente als auch die Planung des gesamten Krankonzepts standen im Zeichen der extremen Belastungen durch Eis, Schnee und Wind, denen die Krane an der Grimsel ausgesetzt sind. „Vereiste Flächen und sogenannte Eisfahnen an Drehteil und Turm müssen als zusätzliche Windflächen einkalkuliert werden“, erläutert Rolf Mathys. „Schnee und Eis fallen außerdem buchstäblich stark ins Gewicht und sind statisch relevant.“ Auch die Kranfundamente sind von einer anderen Dimension: Speziell angefertigte Fundamentanker und jeweils über 600 m³ Beton sorgen für die Standfestigkeit der Wipper. Das entspricht rund zehnmal soviel Betonvolumen wie bei einem durchschnittlichen Kranfundament.

Kürzlich haben die beiden 1250 B ihre Arbeit aufgenommen und werden nun quasi im Akkord Beton in die Schalungen der neuen Bogenstaumauer einbringen. Weniger als sieben Minuten dauert es, den 20 t schweren 7-m3-Betonkübel zu füllen, zur Mauer zu fahren, dort zu entleeren und wieder zurück zu schwenken. Die beiden Wipper arbeiten getaktet, mit jeder Kranbewegung fließt das Volumen eines Standard-Betonmischers ins neue Bauwerk. Insgesamt werden die Krane bis 2024 rund 220.000 m³ Beton bewegt haben. Gearbeitet wird im Zweischichtbetrieb, um die kurze Bauphase vor dem erneuten Wintereinbruch optimal auszunutzen. Die Kranführer wurden vorab von Wolffkran intensiv für diesen besonderen Einsatz geschult.

Obgleich gerade erst montiert, bereitet das Wolffkran-Team die Wipper schon jetzt auf ihren ersten Winterschlaf in den Bergen vor, der bereits im Oktober beginnen könnte. Da der Zugang zu den Kranen auch bei gesperrter Passstraße und enormen Schneemassen gewährleistet sein muss, plant Wolffkran aktuell mit einer Seilfirma ein Seilsystem zwischen bestehender Staumauer und den Kranen zu installieren.

Vor der Winterpause müssen die Wipper zudem winterfest gemacht werden. Damit das Drehteil nicht festfriert, werden Drehwerksgetriebe und -motoren mit Heizmatten ausgestattet. Auch der Schaltschrank und die Kabine werden beheizt, Drehverbindungen, Hub- und Einziehseil vor dem Kälteeinbruch neu eingefettet. Zudem wird zwei bis drei Mal täglich ein automatisches Rotationsprogramm durchgeführt, um Vereisungen zu lösen. „Ein Kranballett ohne Zuschauer“, schmunzelt Mathys. „Der Aufwand ist groß, aber dennoch wirtschaftlicher als die Krane jeden Winter zu demontieren, abzutransportieren und im Sommer wieder zu montieren. Wir haben uns intensiv auf alles vorbereitet und sind bereits in Planungen für ein weiteres hochalpines Projekt.“

Steckbrief: Ersatz Staumauer Spitallamm

Die 113 m hohe und 212 m lange, doppelt gekrümmte Ersatz-Staumauer Spitallamm wird die bestehende sanierungsbedürftige Bogenstaumauer am Grimselsee ersetzen. Die alte Staumauer bleibt erhalten und wird später durchlöchert und geflutet. Die Staumauer Spitallamm ist eine von zwei Talsperren, die das Wasser des Grimselsees stauen. Dieser ist mit rund 94 Mio. m³ Stauvolumen das mit Abstand wichtigste Wasserreservoir für die Stromproduktion der Schweizer Kraftwerke Oberhasli. Die Bauarbeiten sollen bis 2025 andauern und werden von der Arge Grimsel ausgeführt, die sich aus den drei Unternehmen Frutiger, Implenia Schweiz und Ghelma Baubetriebe zusammensetzt.