Es elektrifiziert sich
Wer heute einen Transporter bis 3,5 t Gesamtgewicht der Kundschaft präsentieren will, muss auch ein kaufbares Elektro-Modell im Portefeuille haben. Den großen Marken gelingt das zur Nutzfahrzeug-IAA, vielen anderen noch nicht.
Die Nachfrage nach E-Transportern im Handwerk und in der Baubranche ist groß. Die Kilometerleistungen – die Statistiker sprechen von maximal 160 km pro Arbeitstag – sind gering und passen genau zu den derzeit verfügbaren Reichweiten im E-Transporter-Sektor von in der Regel 200 km. Allein die Hersteller hinkten bislang ein wenig hinterher. Die IAA wird zeigen: Das hat sich geändert. MAN und VW mit den 3,5-t-Kastenwagen eTGE und eCrafter sind am Start. Die weitgehend baugleichen Modelle laufen im neuen, polnischen VW-Werk vom Band und werden auf der Nutzfahrzeug-IAA dem breiten Publikum vorgestellt. Und sie sind kaufbar. Schon seit Juli dieses Jahres. Die Preise werden sich wohl bei knapp 70.000 Euro bewegen – viel Geld für einen 3,5-Tonner. Der aber fährt voll elektrisch und soll mit seinem 100-kW-E-Motor immer noch bis zu 1,7 t Nutzlast tragen können.
Da hat man wohl an allen und Ecken am Gewicht gespart – vor allem bei der Batterie. Deren Kapazität von 36 kWh wird in Expertenkreisen als etwas schmalbrüstig eingestuft. Aber: Die vergleichsweise geringe Kapazität hält auch die Ladezyklen im Rahmen. MAN reklamiert 45 Minuten Ladezeit für 80 Prozent der Kapazität. Dafür benötigt man allerdings eine leistungsstarke 40-kW-Schnell-Ladestation. Am heimischen Fahrzeug-Anschluss kommt wohl eher die normale Drehstrom-(Starkstrom)-Wallbox zum Einsatz. Damit erhöht sich die Ladezeit schon auf gut fünf bis sechs Stunden. Steht nur eine normale 220-V-Wechselstrom-Steckdose zur Verfügung, ist der Ladevorgang in rund neun Stunden oder über Nacht erledigt.
Vor allem MAN hat sich in den letzten Jahren still und leise in Sachen E-Mobilität gut aufgestellt. Neben E-Stadtbussen (Lion’s City E) galt das Augenmerk aber auch den leichten Lkw der eTGM-Baureihe mit 18 bis 26 t Gesamtgewicht.
Auch Mercedes-Benz forciert seine E-Transporter. Wobei derzeit erst der eVito kaufbar ist. Ganz neu ist ein frisch aufgelegtes und limitiertes Sondermodell des eVito namens Series One. Daimler bietet damit den ersten 1.000 Käufern eines eVito ein Rundum-Paket für knapp 40.000 Euro (ohne MwSt.). Darin enthalten ist der eVito mit 150 km Reichweite, 84 kW Leistung und gut einer Tonne Zuladung (langer Radstand, 6 m³ Ladevolumen), eine Wallbox (samt Montage) sowie Beratung und Service. Mit dem eSprinter lässt sich Daimler noch etwas Zeit. Er soll erst 2019 auf den Markt kommen, ebenfalls mit dem 84-kW-Aggregat und zwei unterschiedlichen Batterie-Packs von 41 und 55 kWh Kapazität. Die Reichweiten sollen hier bei 115 beziehungsweise 150 km liegen, bei Nutzlasten um eine Tonne.
Für mehr Reichweite liegt die Zukunft nach Daimler-Lesart aber in der Brennstoffzelle. Auf der IAA wird sicher auch das erste Brennstoffzellen-Wohnmobil auf Sprinter-Basis zu besichtigen sein. Mit 7,7 kg Wasserstoff soll es eine Reichweite von 500 km haben. Und das zeigt schon, wo Daimler die Schwerpunkte setzt: Kurzstrecke und Lieferverkehr sollen mit rein elektrischen Lösungen bedient werden, die Langstrecke mit der Brennstoffzelle, das Thema Hybrid klammert Daimler aus. Das Henne-/Ei-Problem in Sachen Wasserstoff-Tankstellen löst sich langsam auf. Mittlerweile bilden fast 100 Wasserstoff-Tankstellen bundesweit ein hinreichend dichtes Netz.
Mehr Assistenzsysteme für Firmentransporter
Wer sich mit den Standard-Transportern der 3,5- oder 1-t-Klasse beschäftigt wird feststellen, dass auch diese, überwiegend doch dem Arbeitsleben gewidmete Fahrzeugkategorie mit einem bunten Strauß an Assistenzsystemen daherkommt. Daimler machte hier den Anfang mit Seitenwind-, Toter-Winkel-, Abstands- und Notbrems-Assistent, VW und MAN setzen dies fort mit dem Einpark-Assistenten für das Anhänger-Gespann, der ja erstaunlich gut funktionieren soll.
Opel versprach auf dem VDA-Workshop zur IAA, seine Bemühungen zur Elektrifizierung der Nutzfahrzeugflotte bis 2024 abgeschlossen zu haben. Erster Kandidat wäre demnach der Lieferwagen Combo, den dann wohl zeitgleich auch die PSA-Geschwister Peugeot und Citroen in den Vertrieb aufnehmen. Beim 3,5-Tonner Movano arbeitet Opel in Sachen Elektrifizierung zunächst mit dem Start-up I-See zusammen. Im Eintonner-Bereich unter dem Typnamen Vivaro wird Opel die Kooperation mit Renault (Trafic) beenden, stattdessen wird der neue Vivaro auf der EMP2-Plattform der PSA-Konzernmutter basieren. Für die Ingenieure von I-See besonders wichtig: Die E-Nutzfahrzeuge sollen eine Reichweite über 200 km haben sowie keine Einschränkungen in Heizung und Klimatisierung. Das soll mit entsprechend großen (40 und 55 kWh) Batteriekapazitäten ermöglicht werden, Heizenergie soll eine Bio-Ethanol-Heizung liefern.
Derweil entwickelt Renault sein bereits heute in der Großserie verfügbares Angebot an E-Transportern weiter. Neben dem knuffigen Twizzy und dem Pkw Zoe läuft der Kangoo Z.E. schon seit Jahren zuverlässig als E-Transporter. Über alle diese Transporter-Gewichtsklassen hinweg bedient sich Renault ein- und desselben Antriebsstrangs, der sogar den großen 3,5-Tonner Master Z.E mit einem 57-kW- / 225-Nm-E-Aggregat versorgt. Fahrleistungen: alles eine Frage der Übersetzung. Reichweite: eine Frage des Gewichts und der Batteriekapazität. Mit seiner neuen Z.E.-33-Batterie gibt Renault die Reichweite mit 120 km unter echten Bedingungen an, im offiziellen NEFZ-Prüfzyklus sind es schon 193 km, unter erschwerten Bedingungen und intensivster Nutzung allerdings nur 80 km. Man sieht schon: Die Reichweiten-Definition ist stark abhängig von den Gegebenheiten.
Für die meisten Anwendungen in Handwerk und Bau dürften die Reichweiten der 3,5-Tonner ausreichen. Die Nutzlasten liegen wegen der nach wie vor schweren Batterien immer noch deutlich unter den für Verbrenner üblichen 1.500 kg. Aber: Für viele Anwender reicht das aus. Bleibt als Kaufhindernis eigentlich nur die Verfügbarkeit und der nach wie vor hohe Preis, der sich offensichtlich über alle Hersteller hinweg bei knapp 70.000 Euro für einen 3,5-t-Kastenwagen einpendelt. Das ist viel Geld für wenig Nutzlast.