Fahrbericht: Scania 560 G 6×4 XT mit Meiller-Zentralachskipper
6×4-Kipper mit reichlich Leistungsangebot liegen offenbar voll im Trend. Kein Wunder: Der Joker im Bau-Fuhrpark muss schließlich alles können. Von Schutt wegfahren bis Bagger ziehen. Mit neuem Motor und Getriebe hat der Scania 560 G XT 6×4 die besten Voraussetzungen.
Einen 6×4-Dreiachs-Kipper mit 560 PS hatten wir noch nie im Test. Solo wär’s ein Bolide, mit dem man jedes Bergrennen gewinnen könnte. Und zwar beladen. Als schnöder 40-t-Kiesbomber ist er immer noch reichlich motorisiert.
Andererseits: Für manche Einsätze kann der Steinbruch- oder Kiesgruben-Fuhrpark gar nicht genug Leistung haben. Denn irgendwann steht der Transport eines Baggers, eines Radladers oder eines Rüttelsiebs an, was nicht mehr auf eigener Achse, respektive Kette, zu erledigen ist. Dann muss der 6×4 als Schwerlast-Zugmaschine ran. Dafür darf er nicht zu leicht gebaut sein. Ein stabiler Rahmen (hier 9,5 mm stark) ist Grundvoraussetzung, ein potentes Triebwerk auch. Jetzt haben wir schon mal Power und ein kräftiges Rückgrat in der Waagschale.
Pro & Kontra:
Scania 560 G XT 6×4
Aber: Ohne die richtige Übersetzung ist alles nichts. Wäre peinlich, wenn mir die 2.800 Nm des 12,8-l-Motors am Ende die Steckachsen erwürgen oder die Kupplung ständig abraucht. Da braucht es eine stabile Außenplaneten-Hinterachse, die die Achsübersetzung auf zwei Übersetzungsgetriebe verteilt, einmal im Kegelradgetriebe in der Achsmitte und einmal in einem Planetensatz außen in den Radnaben. Da können selbst höchste Drehmomente keinen Schaden mehr anrichten. Am wichtigsten aber ist ein Getriebe mit sehr hoch übersetzten Anfahrgängen (Crawler), sowohl vorwärts als auch rückwärts. Scania hat so ein Getriebe, sogar in zwei Größen, für Drehmomente bis 2.500 und bis 3.300 Nm. Das hat nicht jeder
Und der Clou: Weil der höchste Gang ein Overdrive, also ein ins schnelle (i=0,79) übersetzter Gang ist, erlaubt dieses Getriebe sogar Drehzahlen bei Autobahn-Marschgeschwindigkeit, die bislang nur Fernverkehrs-Zügen vorbehalten waren. Früher drehte ein Kipper bei 85 km/h 1.300 bis 1.400 Umdrehungen, heute kurbelt der Scania 560 G lässig mit 1.150 Umdrehungen über die Autobahn. Er kann das, weil er erstens einen enorm drehmomentstarken Motor hat und zweitens die Gesamtspreizung seines Getriebes beides zulässt: enorm hohe Übersetzungen für schwere Anfahrvorgänge und sozusagen einen Cruising-Gang für sehr sparsame Autobahn-Touren.
Jetzt kann man natürlich rummäkeln, dass nur ein direkt durchtreibender höchster Gang am wenigsten innere Reibung verursacht. Das stimmt. Aber man kann schließlich nicht alles haben. Außerdem ist der Overdrive das geringere Übel im Verhältnis zu einer zu kurzen Gesamtübersetzung, die letztlich höhere Verbräuche verursacht. Und der lange Schongang hat noch einen anderen Vorteil, wenn es nämlich ums Fahren geht – dazu später mehr.
Bei Baufahrzeugen favorisiert Scania die niedrige G-Kabine, die immer dann zum Einsatz kommt, wenn es um einen niedrigen Einstieg geht. Wie aber soll eine geländetauglich hoch aufgesetzte Kabine einen niedrigen Einstieg bieten? Scanias G-Kabine ist aber auch hier ein guter Kompromiss: Selbst ohne einen zusätzlichen, beweglich aufgehängten Tritt, liegt die erste Stufe hier nur 59 cm über dem Boden. Das schaffen selbst Arthrose-geplagte Knie noch halbwegs schmerzfrei. Die Zusatzstufe gibt es natürlich optional und ist eine Empfehlung für Touren, die selten im tiefen Gelände enden.
Innen bietet das Normalfahrerhaus mit hohem Dach für einen Kipper reichlich Lebensraum. Der Verstellbereich des Sitzes nach hinten ist großzügig, da bleibt sogar noch Platz für Stauraum mit Deckel. Die Schublade auf der Motorkiste gibt es optional auch als Kühllade, die Unterlagen und der Kleinkram in unserer Box sind ungekühlt.
Ansonsten die bekannte Möblierung: Das Armaturenbrett Scania-typisch zum Fahrer geneigt, in der Mittelkonsole ein großer Bildschirm für bis zu vier Kamera-Augen, Navi, Telematik und Entertainment. Apropos Kameras: Die zur Überwachung der Meiller-Kippbrücke baumelte erst mal lose an ihrem Kabel – war mit zwei Achter Schrauben schnell repariert. Die zweite Kamera am Heck des Dreiachsers, angebracht links neben und auf Höhe der Maulkupplung, erweist sich an diesem Montageort als ziemlich sinnlos. Damit kann man weder den Kupplungsvorgang wirklich sehen, noch hat man einen Bezugspunkt am Fahrzeug, zum Beispiel den Unterfahrschutz oder tatsächlich das Kupplungsmaul. Ein Montageort mittig über der Maulkupplung, gut geschützt in der Anschlusstraverse, wäre da sinnvoller.
Wir fahren über die Grube. Unserem Kipper-Experten Sepp Ernstberger fallen bei der Inspektion auch gleich ein paar wichtige Punkte auf. Zum einen das Drehlager des Doppelachs-Aggregats. Das findet er samt Schmiernippel bestens zugänglich, und es ließe sich leicht wechseln, wenn doch mal ausgeschlagen. Auch die Verschraubung der Federaugen lobt er: „Da kommst du super dran. Die Schrauben lassen sich nach innen einfach rausziehen, ohne dass man noch irgendetwas abbauen müsste.“ Auch den Diffusor-Auspuff findet er „ganz okay“, das staubt nicht so. Und zu dem 1-cm-Spiel links und rechts der hinteren Blattfedern sagt er: „Das ist nicht ungewöhnlich, da muss halt nur viel Fett rein.“ Im Fahrbetrieb zeigt sich später, dass es hier Diskussionsbedarf gibt. Der Catch-Tank vor dem ersten Hinterrad ist für Ernstberger unter Umständen Steinschlag-gefährdet – Vorkommnisse in dieser Richtung gab es freilich noch nicht. Das stark verrippte Kunststoffgehäuse macht auch einen ziemlich stabilen Eindruck. Und man kommt hier auch an den ersten Dieselfilter gut ran, ohne die Kabine kippen zu müssen. Im vorderen Bereich schützt eine Prallplatte zwar die Unterseiten der diversen Kühler ganz passabel, nicht aber die Kunststoff-Ölwanne. Im überwiegenden Straßen-Einsatz ist das aber kein Thema.
Wir laden. 16-32er-Schotter – unser bevorzugtes Ladegut – ist heute aus. Also nehmen wir 22,5 t 32/64er, der purzelt am Ende des Testtags auch wieder problemlos aus den Dreiseiten-Kippern. Und diesmal achten wir auch darauf, dass uns der freundliche Laderfahrer besonders am Hänger das Ladegut schön bis unter die Ladekante drückt – weil sich nur dann die Standard-Meiller-Rollplane schnell und problemlos rüber rollen und verriegeln lässt. Das funktioniert heute wirklich gut. Bis auf die Einklapp-Mimik der Kurbel: Erst nach viel Probieren und sorgfältigem Ausrichten des Kardangelenks klappt auch das Festsetzen dieses Wunderwerks. Wie einfach dagegen die elektrische Rollplane am Zugfahrzeug: per Knopfdruck auf und zu in 20 Sekunden – da lacht das Fahrerherz.
Die ersten Handling-Übungen mit vorwärts und rückwärts Anfahren belegen sofort die Sinnhaftigkeit der extrem hohen Übersetzungen der kleinsten Gänge: Völlig mühelos und mit augenblicklich fest geschlossener Kupplung fahren wir in steilsten Rampen an und rangieren uns durch die Schottergrube. Auch mal links und rechts um die Ecke, was mit dem Zentralachser im Vergleich zum Drehschemel ein Kinderspiel ist. Handling: Eins A. Übrigens auch wegen der direkten, fühligen und doch leichtgängigen Lenkung.
Ganz anders als von den Scania-Fernverkehrszügen gewohnt, geht der GPS-Tempomat Active Prediction bei diesem 560er-Kipper überaus restriktiv zu Werke. Wo sonst schon mal Überläufe bis zu drei km/h eher die Regel als die Ausnahme sind, wirkt dieser Kipperzug wie an die Kandare genommen. Nicht dass Active Prediction die eingestellten Über- und Unterschwinger besonders genau einhalten würde – wir erreichen sie meist gar nicht. Wo sonst in der Senke Eco Roll aufmacht, nochmal Schwung holt für die nächste Steigung, nimmt der Computer reichlich spät den Retarder raus und verschenkt dabei viel Schwungenergie. Das kennt man so gar nicht von den Scanias.
Als Betreiber kann man allerdings mit dieser Einstellung sicher sein, dass der Fahrer kaum je in die Verlegenheit kommen wird, sich bei einer Kontrolle wegen ausschweifender Schwung-Orgien rechtfertigen zu müssen. Das kann man so machen, verschenkt aber in hügeliger bis bergiger Topographie viel Gratis-Momentum.
Ansonsten rollt der 560er trotz der noch geringen Kilometerleistung auf dem Tacho ausgesprochen gut. Und dabei kommt wieder der Overdrive ins Spiel. Eco Roll, also das freie Segeln, lässt Scania ja bei den Bau-Lkw weg. Macht aber nichts, weil das Rollverhalten im Overdrive fast ebenso gut ist. Und dabei verbraucht der Scania keinen Diesel. Anders als in Eco Roll, wo der Motor in Leerlaufdrehzahl ja stets eine kleine Menge Sprit konsumiert.
Die Bremsarbeit bergab überlassen Motor- und Getriebe-Elektronik zu praktisch hundert Prozent dem Retarder. In Gefällen, wo ohne Retarder der Zehnte oder gar der Neunte bemüht werden muss, um genügend Drehzahl für die Motorbremse zu bekommen, bleibt der 560 G XT gnadenlos im Direkten (Landstraße) oder im Overdrive (Autobahn) und hängt die Fuhre ausschließlich an den Retarder. Das funktioniert problemlos, vor allem aber sehr leise und geschmeidig.
Vor allem auf der kurvigen Landstraße und im Kreisverkehr beunruhigt dieser Zug bei Richtungswechseln – und jetzt komme ich wieder auf die mit reichlich Spiel versehene Federführung an den Hinterachsen. Das Spiel in den Federlagern erlaubt dem gesamten Chassis samt Aufbau und je nach Heftigkeit des Richtungswechsels mit einem mehr oder weniger lauten Knall in die Federlager zu fallen. Und das hört man nicht nur, man spürt es auch, wenn der gesamte Aufbau in diese wenigen Millimeter Spiel quasi hineinfällt.
Erleichtert wird diese unerwünschte Relativbewegung zwischen Achskörper und Chassis durch die Achsaufhängung. Wo normalerweise V-förmig angeordnete Lenker zwischen Rahmen und Achsmitte einen Dreieckslenker bilden und damit auch seitliche Kräfte aufnehmen, fehlt bei diesem Scania eine solche aussteifende Konstruktion. Lediglich ein mittig zwischen Achse und Rahmen-Querträger sitzender Längslenker nimmt Kräfte in Längsrichtung auf. Querkräfte bei Kurvenfahrt finden hier keinen Widerstand, der Rahmen mäandert lautstark in den Federaufnahmen hin und her.
Leichtes Spiel also in jeder Hinsicht: Mit reichlich Leistung und Drehmoment hat der 560 G XT keine Mühe mit schwersten Lasten und empfiehlt sich auch wegen der weiten Gangspreizung als Zugpferd für den Baumaschinen-Tieflader. Das lautstarke Spiel der Seitenkräfte dürfte sich mit einer Dreieckslenker-Führung an der Hinterachse leicht in den Griff kriegen lassen. Ob man die Schwung-Kandare so hart anlegen muss, ist Ansichtssache: disziplinierte Dressur oder ungestümes Galoppieren – jede Gangart hat ihre Vor- und Nachteile.