Genauso gebaut wie geplant
Das Städtchen Hayingen im schwäbischen Landkreis Reutlingen hat Deutschlands erste nach BIM ausgeschriebene Tiefbaumaßnahme umgesetzt. Den Pioniergeist von Bürgermeister Kevin Dorner geweckt und inspiriert hat eine MTS-Exkursion auf die erste deutsche BIM-Modellbaustelle in Erbstetten.
Wer die Vorteile der neuen Methode einmal live vorgeführt bekommen habe, so der Bürgermeister, „kann nur staunen, welche Möglichkeiten sich damit auch für kleinere Kommunen eröffnen – von der plangenauen Ausschreibung über die daraus resultierende Kostensicherheit und den besser kalkulierbaren Zeithorizont bis zu dem nach Abschluss der Maßnahme weiterhin nutzbaren Datenbestand“. Zur Seite standen ihm das Planungsbüro Beetz, die Rainer Schrode GmbH und der Hayinger BIM- und Digitalisierungsspezialist MTS – respektive die MTS-Akademie. „Die Baustelle im Karl-Truchsess-Weg ist ein deutschlandweit und vermutlich sogar weltweit erstes Projekt für BIM im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau. Die Besonderheit: Es wurde nach BIM geplant, nach BIM ausgeschrieben und nach BIM umgesetzt“, erklärt Bauleiter Lukas Schrode.
Gedanklicher Ausgangspunkt dieses Pilotprojekts war die MTS-Modellbaustelle im schwäbischen Erbstetten, die ausloten und aufzeigen sollte, ob und wie die BIM-Methode im kommunalen Verkehrswege- und Tiefbau unter realen Einsatzbedingungen funktionieren kann. Schrode: „Den Zuschlag dafür hatten wir über ein Nebenangebot erhalten und konnten auf die bereits vorhandene 3D-Planung des Ingenieurbüros Herberger zurückgreifen. Die Erfahrungen mit diesem Modellprojekt haben uns eine Fortführung in enger Zusammenarbeit mit einem innovativ denkenden Bürgermeister und Planer erlaubt – direkt vor unserer eigenen Haustür.“
Der Aufwand einer 3D-Planung sei größer als bei einer 2D-Planung, betont Bürgermeister Dorner. Dazu komme, dass bei einer BIM-Ausschreibung im Vorhinein zusätzliche Daten und Definitionen der Anforderungen – Auftraggeber-Informationsanforderungen, BIM-Abwicklungsplan und besondere Vertragsbedingungen – benötigt werden. Doch: „Der Aufwand für das gemeinsam erarbeitete Lastenheft lohnt sich.“ Das bestätigt auch Rainer Mang, Fachanwalt für Baurecht beim Verband der Bauwirtschaft in Baden-Württemberg: „BIM bedeutet frühes und detailliertes Planen. Das Bauobjekt wird zunächst virtuell am Computer erstellt und erst danach in der realen Welt umgesetzt. Gebaut wird das gemeinsam entwickelte und geprüfte Modell. Unliebsame Überraschungen werden so weitgehend vermieden.“ Die gründliche Planung reduziere Fehler und führe schon in einer frühen Phase zu hoher Kosten-, Planungs- und Terminsicherheit. Unstimmigkeiten, die allzu oft in juristische Auseinandersetzungen münden, würden dadurch abgewendet.
„Wer vorweg saubere 3D-Daten für die Planung liefern kann, spart sich später den Aufwand für baubegleitende Absteckungen vor Ort“, ergänzt Thomas Beetz vom gleichnamigen Planungsbüro. Trotzdem habe man die Möglichkeit, die Bauarbeiten regelmäßig zu prüfen: „So lange wir das geplante Modell innerhalb von vorab definierten Toleranzen umsetzen, muss das Bauunternehmen keine separaten Aufmaße erstellen, sondern lediglich in bestimmten Abständen Qualitätsnachweise erbringen.“ Diese werden wöchentlich in die Common Data Environment (CDE) – das entspricht einer Cloud, auf die alle Zugriff haben – hochgeladen und können vom Schreibtisch geprüft werden. Im Gegenzug kann der Bauunternehmer, sofern nach Plan gebaut wurde, direkt nach diesem Plan abrechnen. Lediglich für vorher nicht exakt planbare Aufgaben, etwa die Erneuerung von alten Hausanschlüssen, werden separate Aufmaße erstellt – diese jedoch komplett digital in 3D.
Um Thomas Beetz bei seiner ersten 3D-Planung zu unterstützen, übernahm MTS-CAD-Experte Andreas Ragg die digitale Aufbereitung der Daten mittels 3D-Planmanager, um sie bei Baubeginn der Rainer Schrode GmbH als Grundlage der Bauausführung zur Verfügung zu stellen. Die konnte damit direkt nach Plan bauen, ohne Aufmaße zu erstellen: Während Geräteführer Dieter Pukowski anhand des Modells die Aushub- und Planierarbeiten vornehmen und mit der Löffelspitze des Baggers die Homogenbereiche aufnehmen konnte, nutzte Polier Klaus Schnitzer die Daten, um mittels Rover Aufmaße zu erstellen und Qualitätsnachweise vorzunehmen.
Ein besonderer Vorteil sei dem Polier zufolge die flächendeckende Verdichtungskontrolle: „Wo wir bisher nur punktuell und mit manuellem Aufwand Messungen mit einem Fallgewicht vornehmen konnten, können wir neuerdings über das Zusammenspiel von MTS-Navi und MTS-Anbauverdichter die Verdichtung sozusagen nebenbei flächendeckend prüfen und protokollieren und die Ergebnisse direkt im Anschluss in die gemeinsame Datenablage zurückspielen.“ Und laut MTS-Vorstandsvorsitzendem Rainer Schrode „demonstriert dieses Beispiel anschaulich, wie alle am Bauprozess Beteiligten immer zugleich Nutzer und Autor des Bauwerk-Modells werden, das im Zuge der Bauausführung durch ständig neu hinzugekommene Informationen ergänzt wird.“
Standpunkt: Kevin Dorner (Bürgermeister Hayingen)
„Im Ergebnis erhalten wir als Kommune auf diesem Weg nicht nur ein Stück Infrastruktur, sondern immer auch einen digitalen Zwilling des Bauwerks, also geplantes und gewonnenes Datengold für das GIS-System, für den Betrieb sowie den anschließenden Zirkel der Bewirtschaftung – und gegebenenfalls auch für einen künftigen Rückbau.“