MAN TGX mit alternativen Antrieben im Test
Im Vorfeld der IAA Transportation 2024 stellte MAN Truck & Bus aktuelle Technologien und Fahrzeuge vor. Bei Testfahrten vor dem Massiv des Großglockners stand die Dekarbonisierung der MAN-Produkte im Fokus. Wir hatten erstmals Gelegenheit, den MAN TGX mit Elektro-, Wasserstoff- und modernstem Dieselantrieb im direkten Vergleich zu fahren.
Mit diesem Angebot an alternativen Antrieben können die Münchner ruhig in die Zukunft blicken: Der batterieelektrische eTGX ist fertig und zu kaufen, zudem kann MAN als derzeit einziger Hersteller eine Kleinserie fahrbereiter H2-Verbrenner „für ganz bestimmte Märkte“ anbieten. Und im Diesel-Segment reüssiert der neue D30-Motor, der wohl sukzessive das MAN-Urgewächs D26 ablösen wird. Bedeutet gleichzeitig, dass nun endlich zusammenwächst, was auf dem Papier längst zusammengehört, nämlich Scania und MAN. Die beiden Traton-Konzernschwestern haben lange miteinander gefremdelt, aber jetzt scheint neuer Schwung in die Familie zu kommen. Denn der D30 ist von der Abstammung her kein anderer als der Super-12,8-l-Sechszylinder von Scania. Obwohl: Glaubt man den Aussagen der MAN-Motorenbauer, ist der D30 zu einem guten Prozentsatz ein MAN-Eigengewächs. Aus Schweden kommt angeblich nur Rohguss-Block – vermutlich samt Zylinderkopf – ins Nürnberger Motorenwerk, wo fränkische Techniker das Stück Gußeisen in einen sehr effektiv arbeitenden MAN-Motor verwandeln. 3,7 Prozent soll der D30 sparsamer sein als der D26. Das kann man getrost glauben, die ersten Tests werden den Effizienz-Fortschritt vermutlich bestätigen.
Einen ersten Eindruck konnten wir mit einem TGX 18.560 schon mal gewinnen. Leider nur auf der plattebenen Landstraße zwischen Saalfelden und Lofer: eine leichte Übung, so ganz ohne Steigungen und Gefälle. Da hat sich Scania ein paar Wochen zuvor mehr getraut (mehr dazu ab Seite 28). Immerhin ist die Strecke so kinderleicht, dass wir uns intensiv dem neuen, volldigitalen Instrumenten-Cluster widmen können. So ein Drehzahlmesser/Tacho-Bildschirm-Layout ist echt Geschmackssache: Die MAN-Designer haben sich für quasi-analoge, eckig umrahmte Zeigerinstrumente entschieden. Wer’s mag. Immerhin sind die zahlreichen anderen Informationen in Zahlen- und Symbolform recht sauber und gut ablesbar zwischen den beiden Halb-Eckinstrumenten reingezeichnet.
Akustisch unterscheidet sich der D30 deutlich vom Hörerlebnis im Scania Super. Während der Schwede bei Lastaufnahme kernig stampfend seine Leistungsbereitschaft in die Kabine vermittelt, klingt der D30 im MAN vergleichsweise zahm. Aber wie gesagt: So richtig konnten wir die Pferde auf dieser Strecke nicht fordern. Dass den MAN‘lern der Abschied vom D26 schwer fällt, ist verständlich. Der Sechszylinder ist ein Ur-MAN-Motor, komplett aus den Nürnberger Motorenwerken, und war immer ganz vorne mit dabei. Aber es ist ja nicht so, dass MAN einfach den kompletten Scania-Motor übernimmt. Da wird schon was Bayerisches draus werden, bei der Komplettierung des Blocks aus Schweden-Stahl.
Fahrererlebnis im MAN eTGX
Unspektakulär. Klar, man spürt das Gewicht der Batterien: Vor allem die Vorderachse erfordert hier Aufmerksamkeit – haben die Fahrwerkstechniker aber sehr gut hingekriegt. Und mit 10,5 t ist der eTGX sogar vergleichsweise ein Leichtgewicht unter den batterieelektrischen Zugmaschinen. Im Digitalcluster ersetzt den Drehzahlmesser ein Stromflussmesser im gleichen eckigen Design. Irgendwie schade, dass die Skala für rekuperierten Strom nicht mal halb so groß ist wie die für den Power-Strom. Zum Trost gibt’s gleich daneben eine hübsche Balkengrafik, die den Stromfluss in Prozent über die letzten acht Minuten anzeigt – nett.
Spannend, was MAN nun endlich über den E-Antriebsstrang herauslässt. Wunderbare Röntgengrafiken zeigen, was bei MAN elektrisch Sache ist: Der Zentralantrieb mit einem E-Motor plus Viergang-Getriebe sitzt zentral und rahmenfest im Chassis. Das ist gut, weil der E-Antrieb dadurch viel besser vor Vibrationen geschützt ist, als das bei einer E-Achse à la Actros der Fall ist. Zudem lässt sich das vorhandene Portfolio an Hinterachsen so maximal nutzen. Das clevere Packaging von Antrieb, Hochstrom-Regelung, Kühlmanagement und schließlich die modularen Batteriepakete rechtfertigen die lange Entwicklungszeit. Die 80-kWh-Batteriemodule – gefertigt und konfektioniert im Nürnberger Motoren- respektive Batterie-Werk – lassen sich sehr flexibel unterbringen, bei gleichzeitig vernünftiger Bodenfreiheit. Bis zu sechs Pakete finden derzeit am und im Rahmen Platz, mithin stehen 6 × 80 = 480 kWh nutzbare Kapazität zur Verfügung. Brutto sind es wohl 540 kWh.
Setzt man die Werte in Beziehung zeigt sich, dass MAN mit der Freigabe von nutzbarer Energie weniger geizt als andere: Der SOC-(State of Charge)-Level liegt, so wurde es mir zugetragen, zwischen fünf Prozent unten und 95 Prozent oben. Das ist erstaunlich viel, was MAN da freigibt. Zumal selbst bei dieser intensiven Ausnutzung der Kapazität bis zu 15 Jahre oder 1,6 Mio. km (je nach Einsatzprofil) bei 70 Prozent Restkapazität in der Rede stehen. Und: MAN kommt beim Sattel mit dem Standard-Radstand 3.750 mm aus. Das ist wiederum bemerkenswert wenn man weiß, dass die anderen mit Radständen über 4 m bei den E-SZM agieren müssen. Schließlich ist der kurze Radstand leichter und die SZM im Handling wendiger. Zur IAA kündigt MAN übrigens bereits die erste Erweiterung auf 560 kWh an, also mit sieben Batteriemodulen. Ein Wechselbrücken-Zug soll dann 500 bis 700 km Reichweite erzielen.
Selbstredend sind die eTGX sowohl für (Combined Charging) CCS als auch Megawatt-Charging (MCS) vorbereitet. Erfreulich hohe Flexibilität auch bei der Anordnung der Steckdosen: Sie sind entweder seitlich links und/oder rechts oder auch hinten bestellbar. Die MAN-Techniker kennen offenbar die Lade-Infrastruktur im Land sehr gut. Das spricht für viele überregionale Testfahrten und reichlich Erfahrung beim Platzieren der Zugmaschine an der Ladesäule. Natürlich hat MAN auch eine intensive Kundenberatung für den Umstieg in die E-Mobilität im Portfolio: 360 Grad eMobility Consulting, so heißt der Service, der Kunden in Sachen Ladeinfrastruktur, Streckenauswahl und Ladesäulen-Ausrüstung unter die Arme greift.
MAN TGX 28.520H2 im Test
Zum guten Schluss schnappen wir uns noch den H2-Verbrenner. Am Türschild erkennbar, nennt sich die 6×2-Sattelzugmaschine TGX 28.520H2. Der Name ist immerhin logisch: 28 t Gesamtgewicht, 520 PS, Wasserstoff-Direktverbrenner. Der Motor basiert auf dem großvolumigen D38-Diesel, wurde aber von 15,2 auf 16,8 l Hubraum aufgebohrt und zum Otto-Motor mit Fremdzündung umgebaut. MAN hat hier auch gleich die H2-Direkteinspritzung realisiert. Was soll ich sagen: Der Wasserstoff-Verbrenner startet wie ein typischer Benziner. Das Geräusch ist etwas weicher, der Motor angenehm im Sound, fährt sich wie ein Diesel. Und das will was heißen, denn es ist gar nicht so leicht, einem nur mit 1:13 verdichteten Gasmotor die Drehmoment-Charakteristik eines hoch verdichteten (1:19) Diesel zu verpassen. Systembedingt bleibt beim Wechsel von Diesel auf H2 dennoch einiges an Effizienz auf der Strecke. Während der D38 mit 640 PS stramme 2.800 Nm auf die Kurbelwelle stemmt, muss bei der H2-Version (Typbezeichnung jetzt: H4576) schon der Hubraum vergrößert werden, um immerhin 2.600 Nm Drehmoment und 520 PS Nennleistung zu realisieren. Will sagen: Wer leistungsstarke H2-Direktverbrenner darstellen will, muss die systembedingt moderatere Verdichtung mit reichlich Hubraum kompensieren.
Das haben die MAN-Motorenbauer allerdings sehr gut hinbekommen: Mit einer mäßig langen Hinterachse (1:2,5) dreht der H2-TGX gerade mal 1.200 Touren bei 80 km/h und damit nur gut 100 Umdrehungen mehr als sein Diesel-Pendant. Das ist schon ein wenig beeindruckend und weist bereits jetzt auf eine hohe Praxistauglichkeit hin.
Es verwundert auch nicht, dass sich MAN beim H2-Verbrenner zuerst auf die 6×2- und 6×4-Zugmaschinen für die Baustelle konzentriert. Gerade die skandinavischen Märkte seien ganz erpicht auf die reichweitenstarken Modelle. Aber auch für hiesige Bauflotten könnte sich der H2-TGX zu einer echten und vor allem schnell realisierbare Alternative entwickeln. Mit seinem 700-Bar-Wasserstoff-Tank ist dieser Direktverbrenner deutlich leichter als jeder batterieelektrische Truck, nach Serienhochlauf vermutlich auch deutlich billiger. Bleibt das Problem der Tank-Infrastruktur: 700-Bar-H2-Tankstellen sind derzeit so schwer zu finden wie ein Parkplatz in der Münchner Innenstadt. Die Skandinavier, insbesondere die Norweger, machen es vor: Dort gibt es genügend regenerativen Überschuss-Strom für lokale und dezentrale Hydrolyseure, die grünen Wasserstoff erzeugen. Vorstellbar wäre auch eine lokale Tankstelle, wie wir sie in den Anfangszeiten von LNG hatten: Ein H2-Tank, der von einem H2-Tankzug mit 300 Bar Systemdruck beliefert wird und vor Ort dann auf 700 Bar verdichtet. In Skandinavien werde das bereits gemacht.
Der Test-H2-TGX bietet in vier Kohlefaser-Tanks einen Gasvorrat von 4 × 350 l Volumen, verdichtet auf 700 Bar lassen sich hier 56 kg H2 speichern. Glaubt man der Verbrauchsangabe von 9 kg/100 km, ließen sich damit gut 600 km Reichweite realisieren – für einen Bau-Kipper ist das allemal ausreichend. Kurzum: Der H2-TGX als Baufahrzeug ist ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Politik. Nichts wäre hier leichter, günstiger und schneller machbar als der Wasserstoff-Direktverbrenner – grüner Wasserstoff als Brennstoff immer vorausgesetzt.
Zum Schluss noch ein kleiner Schlenker in die Transporter-Sparte. Der Ableger des VW Crafter heißt bei MAN ja TGE und kommt nun ebenfalls stark überarbeitet daher. Zwar hat man den eTGE zunächst auslaufen lassen, derzeit gibt es also nur Diesel-Varianten des flinken 3,5-Tonners. Man wartet auf eine neue E-Plattform, die in Kürze kommen soll. Die Digitalisierung zeigt sich beim neuen TGE vor allem im Armaturenbrett: Ein riesiger Sekundär-Bildschirm zeigt in überaus bunten, lebendigen Bildern das Innen- und Außenleben des TGE, Navi-Karten, Entertainment-Funktionen, das Bild der Rückfahrkamera und vieles mehr.
Standpunkt
Robert Domina, bd-Nutzfahrzeug-Experte
Da bekennt sich MAN schon vor einigen Jahren zum batterieelektrischen Antrieb, will die teure Brennstoffzelle erst mal außen vor lassen. Und jetzt hauen die einen H2-Verbrenner raus. Weil sie’s können. In erster Linie aber, um eine schnelle Alternative zur Dekarbonisierung des schweren Lkw anbieten zu können. Der Ansatz ist richtig. Und mutig. Klar, der Wirkungsgrad der E-Antriebe und ihre Fähigkeit, Energie zurückzugewinnen, ist vordergründig fast schon ein Totschlag-Argument. Der BEV ist okay für Verteiler- und leichten Fernverkehr, leider aber immer noch sauschwer, wegen der Batterien. Die Brennstoffzelle macht Sinn für innereuropäischen Fernverkehr. Aber auch nur mit flüssigem Wasserstoff. Anzahl der Tankstellen in Deutschland: genau eine (Wörth bei Daimler), demnächst Nummer Zwei in Duisburg.
Weder Politik noch Energiewirtschaft sind derzeit in der Lage, rasch und effizient ein Megawatt-Charging-Netz aufzubauen, das den Namen verdient. Wie effizient ist da der H2-Verbrenner. Von mir aus auch als Übergangslösung. Ja, grünen Wasserstoff gibt es auch noch nicht an jeder Ecke. Aber ich wette: Die Bereitstellung über Pipelines, H2-Terminals für Schiffe und sogar die lokale Speicherung von Überschuss-Strom könnte schon sehr bald eine revolutionäre Wasserstoff-Wirtschaft erblühen lassen. Die Kassen der Hersteller von Elektrolyseuren klingeln gerade prächtig, die kommen kaum hinterher. Steht erst mal die Versorgung, kann der H2-Verbrenner richtig punkten: Er ist geeignet für schwere Einsätze, bei praktikabler Reichweite, günstig in der Anschaffung, bietet minimalen Nutzlastverlust – und er ist sauber. Im Zusammenwirken mit einem E-Trailer wäre sogar Rekuperation möglich. Sollte dann die Brennstoffzelle endlich bezahlbar werden, wäre es wohl das Aus für den BEV-Truck. Denn der ist immer noch zu schwer und zu teuer. Hat da schon mal wer drüber nachgedacht?