Mercedes Arocs 2651 6×4 mit Meiller-Dreiseitenkipper
Einen 6×4-Kipper mit 510 PS solo über die bd-Testrunde zu jagen ist zwar nur von begrenztem Erkenntniswert, macht aber richtig Spaß. Leistung ohne Ende, ein imponierend vorausschauender GPS-Tempomat und die Eignung als Schwerlast-Zugmaschine für den Bagger fordern Respekt.
Was man mit einem Dreiachser 6×4, Meiller-Dreiseitenkipper mit Bordmatic, 510 PS, solo wohl anstellen kann: jedenfalls keine Messfahrt, zu wenig Laufleistung. Mit gerade mal 1.500 km auf der Uhr rollt der 6×4 noch nicht richtig. Sagt jedenfalls Dirk Stranz, Presse-Testexpert bei Daimler im Werk Wörth. Und er hat Recht. Hänger haben wir auch keinen bekommen, jedenfalls nicht rechtzeitig. Ist schwierig, wenn alle auf den Baustellen werkeln. Also machen wir was wir immer tun, wenn wir ein solches Spielzeug zur freien Verfügung haben: zuerst in die Grube, Schotter laden, Staub aufwirbeln und dann ab auf die bd-Runde. Gemessen wird bei uns natürlich immer. Nur nicht veröffentlicht, das wäre nicht fair. Zumal uns hier auch der rechte Vergleich fehlt. Schließlich fahren wir die Dreiachs-Kipper immer mit angekuppeltem Zentralachs-Anhänger und voll ausgeladen mit 40 t Gesamtgewicht.
Pro & Kontra:
Heute reicht’s nur für 26 t Gesamtgewicht. An Leergewicht zeigt die Waage 12.440 kg, Tanks voll, 75 kg für den Fahrer. Also 12,5 t Leergewicht – das ist nicht besonders schwer. Da bleiben immerhin rund 13,5 t für die Nutzlast. Ein Vierachser bringt es meist auf gut 17 t Nutzlast – gar nicht so schlecht also für den Solo-Dreiachser.
Zumal dieser Arocs 2651 auch noch richtig gut ausgestattet ist. Alle Assistenzsysteme sind an Bord, vom Hillholder bis zu Daimlers Interurban-GPS-Tempomat. Das Classic-Space-Fahrerhaus in Größe M bietet großzügigen Raum nach hinten. Im Gegensatz zum ganz kurzen S-Fahrerhaus, ist hier hinter der Sitzlehne nicht gleich die Fahrerhaus-Rückwand, sondern reichlich Platz für Stauraum und eine optionale, klappbare Liege. Mit nur 2,3 m Breite ist diese Hütte auch etwas übersichtlicher als die 2,5 m der Normalkabinen – ein nicht zu vernachlässigender Handling-Vorteil. Dieser 2651 ist übrigens der erste Arocs mit volldigitalem Armaturenbrett wie in den Fernverkehrs-Actrosen.
Für die Spiegel hat man sich in Daimlers Test-Abteilung für das normale Setup entschieden – also keine Mirror-Cams. Das ist in diesem Fall ganz gewiss kein Nachteil, bieten die Normal-Spiegel doch die gewohnt gute Sicht auch beim Blick nach rechts vor dem Abbiegen. Die A-Säule lässt sich auch mit Mirror-Cams nicht wegzaubern. Hauptsache da ist ein veritabler Sichtspalt zwischen Spiegelgehäuse und A-Säule.
Dank der beweglichen zusätzlichen Trittstufe gelingt der Einstieg auch mit arthritischen Knien für eine Kabine mit 600 mm Aufsetzhöhe recht bequem. Früher ganz normal, ist die durchgängige Stahl-Federung in Zeiten allfälliger Luftfederbälge an Chassis- und Kabinen-Aufhängung bei diesem 2651 schon was Besonderes. Vor allem insofern, als die Zweiblatt-Parabeln vorn (Vierblatt hinten) zwar knackig und straff federn, das Ganze aber mit der ebenfalls stahlgefederten Kabine außerordentlich gut abgestimmt ist. Der Kontakt zum Untergrund ist jederzeit informativ, härtere Stöße bügelt die Luftfeder des Komfort-Sitzes effektiv und kreuzschonend aus. Überhaupt verdient die gesamte Straßenfühligkeit dieses 6×4 ein dickes Lob: Zur feinen Federung kommt eine Lenkung, die zwar mit 5,8 Umdrehungen von links nach rechts fast Vierachser-typisch hoch übersetzt ist, die aber ein Fahrgefühl wie auf Schienen vermittelt: stabil und ruhig in der Mittellage, leichtgängig im Kreisverkehr und beim Rangieren – top.
Das kann der Allrounder am allerbesten
Diese Abstimmung kommt nicht von ungefähr und hat mit dem universellen Charakter des 6×4 im Bau-Fuhrpark zu tun. Höchst selten ist er nämlich solo unterwegs. Vielleicht, wenn eine ganz enge Baustelle nicht mal mehr den Einsatz eines Vierachsers zulässt. Ansonsten ist und bleibt der 6×4 der Joker im Baugeschäft. Ein flexibler Springer, und mit Zentralachsanhänger sogar mit halbwegs vernünftiger Nutzlast. Meistens jedoch die Allround-Zugmaschine für den Deichsel-Tieflader: schnell den Bagger oder mittelschweren Lader von A nach B – das kann der 6×4 am besten. Wir haben spaßeshalber mal einen vierachsigen Drehschemel von Humbaur angehängt. Der HTD stand bei unserer Kipper-Basis Trucks & More in Eichstätt grade auf dem Hof, mit frischen Bremsen und TÜV. Was dieses Gespann kann, ist schon auf dem Papier beeindruckend: Zwar ist der Arocs 2651 6×4 technisch für 80 t Gesamt-Zuggewicht gut, mit dem Humbaur HTD am Haken wären theoretisch und ohne Ausnahme-Genehmigung 26 t (Kipper als Zugmaschine mit viel Ballast für beste Traktion) plus 40 t Gesamtgewicht nur für den Hänger machbar. Ohne Sondergenehmigung sind es immerhin noch 24 t Gesamtgewicht für den Hänger, bei einer Nutzlast von dann maximal 15,7 t. Das ist doch was, da bleibt der Bauunternehmer jederzeit flexibel.
Nun ist so ein Gespann am besten zu fahren, wenn die Zugmaschine maximalen Aufstandsdruck und damit maximale Traktion bietet. Eine ordentliche Schippe Ballast auf der Kippbrücke ist da von Vorteil. Und ebenfalls vorteilhaft – ganz gewagte These für Traditionalisten – ist auch der Interurban-Tempomat. Denn der erkennt auch bei Nebel und in der Dunkelheit weit vor den Augen des noch so aufmerksamen Fahrers den Abzweig, die Stopp-Stelle, den Kreisverkehr, die scharfe Kurve. Mit dem Label Interurban beschreibt Daimler Trucks ja die Fähigkeit des GPS-Tempomaten, auf Landstraßen, also zwischen den Städten, jene Flow-Unterbrechungen zu erkennen, dem Fahrer anzuzeigen und sogar automatisch darauf zu reagieren.
Bestes Beispiel auf unserer bd-Strecke: der neue Kreisel vor Beilngries im Altmühltal, im Auslauf eines langen Sieben-Prozent-Gefälles. Der Interurban-Tempomat reagiert hier viel vorausschauender als ein routinierter Fahrer, der vielleicht wie immer den Schwung mitnehmen will. Erstens zeigt der Computer das drohende Event rechtzeitig im Display schön groß und mit Entfernung an, zweitens errechnet er gleich eine passende Geschwindigkeit, mit der er den Kreisel automatisch durchfahren würde, wenn kein Querverkehr dies vereitelt. Das Geschwindigkeitsniveau, von flott bis vorsichtig mit Bagger im Kreuz, lässt sich im PPC-Menü einstellen. Das gibt Sicherheit und schützt vor Umfallern bei Fracht mit hohem Schwerpunkt. Vor allem ortsfremde und junge, noch unerfahrene Trucker profitieren hier.
Das Leistungsangebot von 510 PS, respektive einem Drehmoment von 2.500 Nm zwischen 1.050 und 1.450 Umdrehungen, wirkt bei einer Solofahrt auf den ersten Blick etwas überkandidelt. Klar: Den Kindinger Berg hinauf geht’s toujours mit gesetzten 84 km/h im Zwölften, das ist keine Aufgabe bei 26 t Testgewicht. Der GPS-Tempomat arbeitet auch mit diesem Gewicht sehr genau und fördert ruhiges Gleiten mit Schwungnutzung, wo möglich. Abwärts dann doch noch ein Fauxpas: Wo die 60-km/hBegrenzung wieder auf 80 km/h in den langen Auslauf des Gefälles wechselt, sitzt PPC einmal mehr einer Fehlinformation auf. Nach dem manuellen Hochsetzen auf 85 km/h in Fünfer-Schritten, setzt PPC unvermittelt wieder auf 60 km/h zurück. Ein Fehler im Kartenmaterial vermutlich, weil wir dies häufiger bei verschiedensten Actros-Modellen beobachtet haben. Vor gut zwei Jahren war hier eine Dauer-Baustelle, begrenzt auf 60 km/h. Offenbar ist diese immer noch im Daimler-Kartenmaterial abgelegt, entsprechend reagiert PPC – das könnte man langsam mal korrigieren.
Ansonsten erweist sich dieser muskelbepackte 6×4 als überaus potente Zugmaschine, sowohl für den Tandemachser im Tagesgeschäft als auch für den Tieflader mit Baumaschinen-Fracht. Der Fahr- und Lenkkomfort ist für diesen durchgehend stahlgefederten Kipper erstaunlich gut, das Handling unkompliziert, die Assistenzsysteme sinnvoll. In dieser Aufmachung, mit den breiten 385ern vorn und in schwarz lackierten Radnaben-Abdeckungen und Felgen, könnte der 2651 gar zum Chef-Auto mutieren.