Kippertest 9/2018

Renault C 440 8×4 All-you-need

Der Name ist Programm: All you need – unter diesem Label schneidert Renault den 8x4-Kipper auf Maß. Und zwar auf jenes, das gerade so nötig ist. Wir fühlten dem Minimalisten auf den Zahn.

Renault C 440 8x4
All you need: Dieser Renault C 440 8x4 ist ein Vierachser, der alles kann, was er können muss und dazu alles hat, was er braucht. (Bilder: bd/Domina)

Wie erfrischend! Mal ein Vierachser ohne irgendwelche Spezialitäten wie Liftachsen, elektrisch verstärkte Lenkung, Luftfederung und so weiter. Dieser Franzose ist ein einfacher Typ. Ein guter Kamerad für die tägliche Maloche im Schotterbruch, auf der Baustelle oder im Straßenbau. An Assistenzsystemen ist er genauso karg bestückt wie an äußerer Hardware. Eigentlich gibt es nur einen Hill-Holder. Freilauf (Optiroll) oder gar GPS-Tempomat (Optivision): Fehlanzeige. Auch eine Laderaumabdeckung in Form einer Rollplane hat man sich gespart. Was ist das jetzt: ein Spar-Kipper, ein Sonderangebot, muss der weg?

Nichts von alledem. Dieser Renault C 440 8×4 ist ein Vierachser, der alles kann, was er können muss. Und dazu hat er alles, was er braucht. Steht ja auch vorne drauf: all you need. Das ist die Idee, das Programm. Eine gute Idee. Denn sie führt zurück zu den einfachen Dingen. Wie viel Kipper es eigentlich braucht, um seinen Job gut zu machen. Dieser Typ hier beweist: Nicht viel, die Basisausstattung reicht eigentlich. Als da wären: ein leichtes Chassis, verstärkt mit Doppelschleife, Parabel-Blattfedern hinten, kein Retarder, dafür die Motorbremse Optibrake + und das elektronische Bremssystem, wie es heute ohnehin standard ist, dazu Scheibenbremsen rundum.

Pro & Kontra: Pro

praxistaugliches Gesamtkonzept
guter Antriebsstrang
direkte Lenkung
Federungskomfort
Preis / Leistung
kein Optiroll
keine Abdeckplane
Geräuschniveau Kabine

 

 

Die vordere Bereifung mit den breiten 385/65 gefällt mir ja nie so richtig, weil sie mehr Sprit braucht. In der Praxis sinkt der Truck aber nicht so tief in der weichen Schüttung oder in der Deponie ein. Vorne haben wir die vom Volvo bekannten, gekröpften Parabelfedern in zweilagiger Ausführung, hinten treiben zwei doppelt übersetzte Außenplaneten-Achsen mit stabilen Gussgehäusen an. Auch sie werden von dreilagigen Parabelfedern gehalten, für eine exakte Führung und Spur sorgen zusätzliche Längslenker unten. Diese stabilisieren spürbar den Geradeauslauf und reduzieren Eigenlenkeffekte durch Wank-Bewegungen praktisch auf Null.

Das Fahrerhaus ist die Renault-Day-Cab, wie wir sie auch von den Verteiler- und Fernverkehrsfahrzeugen kennen. Kurz, niedrig, kuschelig klein und vor allem leicht. Nur 14.360 kg Leergewicht zeigt die Waage. Plus 75 kg Fahrer macht das gute 14,4 t, was 17,6 t Nutzlast ergibt. Ein sehr guter Wert. Die Kabine ist relativ hoch aufgesetzt, die Motorkiste ragt gute 10 cm ins Innere. Das macht aber nichts, eine geräumige Staukiste findet hier zwischen den Sitzen gut Platz. Nach hinten reicht der Verstellraum für die Sitze aus, Stauraum hinter den Sitzen ist knapp. Das Angebot an Ablagen ist hier naturgemäß etwas beschränkt, reicht aber mit den Dachfächern und der Staukiste aus.

Cockpit des Renault C 440 8x
> zur Galerie

Clevere Details unterstützen den Fahrer

Die Fahrerzentrale rund um den großformatigen Digitacho ist wohl geordnet, logisch im Layout und fahrerorientiert. Statt eines großen Monitors packten die Designer den kompletten Klimablock hoch in das Doppel-Din-Gehäuse der Mittelkonsole. Das ist clever, denn so kann ich als Fahrer ohne Verrenkungen meine Heizung und Lüftung superbequem einstellen. Gleich daneben die Riesentaste der elektronischen Handbremse: Bei Renault und Volvo ist sie mittlerweile Standard. Und das ist gut so, weil sie sich im Stand selbst aktiviert, man sie nicht vergessen kann und dadurch von allein losrollende Lkw endgültig Vergangenheit sind.

Die beiden Drehschalter darunter sind eine Renault-Spezialität: Der obere regelt alle Tempomat- und Limiter-Funktionen, der untere die Differenzialsperre und weitere Antriebsfunktionen über kleine Tasten. Bei diesem Exemplar verdient das Offroad-Programm mit der Drehzahl-Feststellung eine kleine Würdigung. Der Praktiker kennt das ja gerade aus dem Straßenbau: Um zum Abladeort zu gelangen, sind oft kilometerlange Buckelpisten abzureiten. Da ist es gar nicht so leicht einen ruhigen Gasfuß zu halten. Der normale Tempomat funktioniert bei entsprechend langsamer Geschwindigkeit ja auch nicht. Und es ist deshalb umso besser, wenn man die Fahrgeschwindigkeit über einen Drehzahlregler konstant halten kann. Genau dieses beherrscht der Renault auf Tastendruck.

Auch das rasche Einrücken der Differenzialsperre ist manchmal entscheidend, um nicht hängen zu bleiben. Bei einsetzender Dunkelheit, mitten im Matsch und schneidend kaltem Winterwind ist man da schon froh, wenn der Schalter schnell reagiert und ein blitzschnell herbeigeführter Lastwechsel die Achsen sperrt und das Erklimmen der Grubenrampe doch noch ermöglicht.

Schon klar: Die Differenzialsperre und die Berganfahrhilfe sind das Minimum an Traktionshilfen, die man im Vierachser erwarten kann. Ist der Wegebau am Einsatzort ein ordentlicher, kommt selbst der Anfänger traktionstechnisch damit klar. Schwierigeres Terrain wie treibsandartiger Kies oder weiche Erddeponien erfordern einen Könner am Steuer und/oder weitere Traktionshilfen wie den hydraulischen Vorderradantrieb, den übrigens auch Renault für seine Baufahrzeuge im Programm hat.

In der Ernstberger’schen Schottergrube zu Eichstätt ist der Wegebau tipptopp, sodass Traktionsprobleme so gut wie nie vorkommen. Wir lassen uns den Meiller-Dreiseitenkipper mit gut 17 t Schotter füllen. Wobei es heute mal egal ist, von welcher Seite, denn eine Rollplane besitzt dieser Renault nicht. Das ist für manche Einsätze eine lässliche Ausstattungslücke, für unsere Autobahn-Etappe hätte ich dagegen schon gerne eine Abdeckung des Ladeguts. Dass der Sand zwischen dem Schotter heute davonfliegt, ist jedoch eher unwahrscheinlich: Regen hält uns die Fuhre am Testtag schön feucht.

Sonnenblende des Renault C 440 8x4
> zur Galerie

Manchmal lohnt sich ein größerer Motor

Mit den 32 t Gesamtgewicht hat der auf 440 PS und 2.200 Nm Drehmoment eingestellte 12,8-l-Motor keine Mühe. Renault bietet den großen Reihensechszylinder mit 440, 480 und 520 PS an, bei Volvo leistet der weitgehend baugleiche Motor zwischen 420 und 540 PS, abgestuft in jeweils 40-PS-Schritten. Anders als bei den Volvo-Kippern der FH-Baureihe bietet Renault für den 8×4 auch den etwas leichteren DTI 11 mit 10,8 l Hubraum, der in seiner stärksten Version 460 PS leistet, bei ebenfalls 2.200 Nm maximalem Drehmoment. Aber: Die Wahl des großen Motors ist bei langen Nutzungszeiten von Vorteil. Er liegt im Verbrauch bei hoher Last eher besser als der 11-l-Motor und sollte auch länger halten, da er vom Drehzahlniveau her weniger belastet ist. Zudem erlaubt er auch für häufigen Autobahnbetrieb eine etwas längere Übersetzung. Und die garantiert stets weniger Verbrauch.

Unser C 440 ist mit 3,36 Gesamtübersetzung in der AP-Achse ziemlich kurz übersetzt, sodass auf der Autobahn 1.450 Touren im höchsten Gang anliegen. Für den überwiegenden Landstraßeneinsatz geht diese Gesamtübersetzung völlig in Ordnung, weil bei 65 km/h Marschgeschwindigkeit immer noch sehr lebendige 1.100 Touren im höchsten, direkt durchtreibenden Gang anliegen. Bei hohen Autobahnanteilen würde ich zur Drehzahlabsenkung freilich ein Overdrive-Getriebe mit langem, höchstem Gang bevorzugen. Die Landstraße lässt sich dann ebenfalls sparsam im direkt durchtreibenden Elften erledigen.

Mit der recht kurzen Übersetzung und dem moderaten Gesamtgewicht von 32 t muss der Renault höchst selten den Gang wechseln. Alle Autobahnsteigungen inklusive Kindinger Berg erledigt der C 440 im höchsten Gang und äußerst flott. Bergab reicht die sehr effektive Motorbremse Optibrake +, um die Fuhre sicher in Schach zu halten. Der zehnte Gang liefert hier bei knapp 70 km/h mit 1.800 Touren die richtige Drehzahl, um flott – wenn auch nicht besonders leise – Gefälle bis zu sieben Prozent abzureiten. Einen Retarder kann man sich hier getrost sparen.

In Sachen Geräusch geht’s bei diesem Exemplar deutlich lauter zur Sache als zum Beispiel im Volvo FH, der derzeit definitiv der leiseste Kipper ist. 63 statt 60 dB auf der Landstraße, 67 statt 66 dB auf der Autobahn sind die Eckdaten, die nicht nur laut scheinen sondern auch so klingen. Ursache für die kernige Geräuschkulisse im Inneren ist auch das kurze Haus, das Motorgeräusche viel intensiver über die Rückwand in die Kabine dringen lässt. Aber auch die Bereifung mit Conti Construction fällt bei bestimmten Geschwindigkeiten durch Wummer-Geräusche akustisch etwas aus dem Rahmen. Positiv bei diesen Pneus: Sie scheinen deutlich weniger Steine zwischen den Profilblöcken aufzusammeln und als Geschosse wieder abzugeben als andere Marken. Ein Wort zur Lenkung: So muss sie sein. Mit nur 41/4 Umdrehungen ist sie für einen Vierachser ausgesprochen direkt und fühlig – gefällt mir sehr gut.

Nun achten wir seit der Einführung von Freilauf-Funktionen wie Eco-Roll, I-Roll oder Renaults Optiroll sehr auf das Rollverhalten unserer Testkandidaten. Und wir wissen auch, dass Vierachser schon bauartbedingt wegen der kurzen Radstände nicht die besten Segler sind. Aber auch sie können rollen – und das spart nun mal Sprit an der einen oder anderen Ecke. Wie bei einem minimalistisch ausgestatteten Arbeitstier zu erwarten, verzichtet Renault bei diesem Konzept auf seinen GPS-Tempomaten Optivision – was noch keine große Sünde wäre. Auf Optiroll zu verzichten dagegen schon. Die Segel-Einrichtung erlaubt zumindest auf unserer Kipperrunde zum Teil sehr lange Rollphasen. Dieser Renault kann sie dagegen nur im Schub, damit gegen das Bremsmoment des Motors und deshalb nur sehr kurz nutzen. Dazu kommt, dass just dieses Testfahrzeug mit nur 1.500 km Laufleistung ganz und gar nicht eingefahren war. Umso erstaunlicher dann doch die Messwerte, die den Renault trotz fehlender Kilometer, einer Segeleinrichtung und aerodynamisch günstiger Plane immer noch recht gut aussehen lassen.

Standpunkt: Robert Domina

bd-Nutzfahrzeug-Experte, Pietenfeld

„Was braucht der Vierachser mehr? Das kann ich ihnen sagen: Eco-Roll und eine Plane. So verlockend der Gedanke des minimalen Aufwands auch sein mag. Auf eine Plane möchte ich schon aus aerodynamischen Gründen nicht verzichten. Vor allem wenn schnell gefahren wird, also auf der Autobahn. Aber auch der Schutz anderer Verkehrsteilnehmer muss hier im Vordergrund stehen. Das Risiko, kleine Steine oder Sand zu verlieren, ist einfach zu hoch. Beim Segeln mit Eco-Roll steht die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Eco-Roll spart auch im Vierachskipper mindestens drei, wenn nicht fünf Prozent Diesel. Vorausgesetzt, das Fahrzeug ist gut eingefahren, hat also mindestens 40.000 km auf dem Tacho. Dann segelt auch der Vierachser – abhängig von der Topographie, versteht sich.

Das war’s aber auch schon, was ich am All-you-need-Konzept von Renault auszusetzen habe. Der Rest funktioniert einfach gut. Vor allem die Lenkung. Einen Vierachser mit 4,25 Umdrehungen Lenkeinschlag zu realisieren, ist schon etwas Besonderes. Meist sind fast sechs Lenkradumdrehungen von Anschlag zu Anschlag nötig. Die allfällige Zunahme von Kreisverkehren hat meine Wahrnehmung dahingehend jedenfalls mächtig geschärft. Die Kurbelei mit den meist sehr hoch übersetzten Vierachser-Lenkungen im Kreisverkehr kann auf Dauer ganz schön nerven. Umso schöner, wenn Renault hier mal zeigt, dass es auch anders geht. Und zwar ohne Chichi wie eine elektrisch unterstütze Lenkung. Die ist dann zwar super-leichtgängig, ziemlich gefühllos und trotzdem noch sehr hoch übersetzt, weil sie ja auch noch bei Ausfall eines Lenkkreises funktionieren muss. Auch die kleine, leichte T-Kabine hat mit gut gefallen, selbst wenn da in Sachen Geräusch noch Luft nach oben ist.

Autor: Robert Domina
Autor: Robert Domina

Renault C 440 8x4 Hinterachskonstruktion
> zur Galerie