Renault C 440 Optitrack 4×4
Eine spannende Zusammenstellung, die Renault da ins Rennen der Bau-Sattel schickt. Zum ersten Mal im Test: Renaults neuer GPS-Tempomat Optivision im Zusammenspiel mit dem hydraulischen Vorderradantrieb Optitrack.
Bei Renault Trucks ist ja alles Opti: Optitrack, Optiroll, Optivision, Optifleet und so weiter und so weiter. Wirklich optimal ist das nicht. Denn die Nomenklatur führt zu Verwechslungen, und merken kann man sich die vielen Opti-Features ohnehin nicht. Dabei weisen die Namen durchaus auf ihre spezielle Funktion hin. So ist unser Testkandidat, eine Bau-Sattelzugmaschine der Reihe Renault C (für Construction), mit Optitrack ausgestattet, also der französischen Spielart der hydraulisch, per Radnabenmotoren angetriebenen Vorderachse. Und zum ersten Mal dürfen wir einen Renault mit dem GPS-Tempomat Optivision über die Teststrecke fahren. Außerdem dabei: das automatisierte Optidriver-Getriebe mit langem, höchstem Gang sowie die Motorbremse Optibrake+ mit 520 PS Bremsleistung bei 2.300 Umdrehungen. Den Retarder kann man sich damit – das zeigt dieser Test einmal mehr – selbst auf bergigen Strecken sparen.
Pro & Kontra: Renault C 440 Optitrack 4x4
Bei der Motorisierung haben wir es hier mit der schwächsten Einstellung des 13-l-Sechszylinders zu tun: Der liefert 440 PS und 2.200 Newtonmeter Drehmoment und überschneidet sich damit von der Werten her mit dem kleineren, 10,8 l großen DTI 11, den es in der Maximal-Einstellung bis ebenfalls 2.200 Nm und 460 PS gibt. Damit folgt Renault der Meinung der meisten Kunden, Hubraum sei durch nichts zu ersetzen, schon gar nicht im Bau-Einsatz. Befriedigen kann Renault Trucks diese Philosophie mit zwei weiteren Einstellungen des DTI 13 mit 2.400 und 2.550 Nm Drehmoment, respektive 480 und 520 PS Nennleistung. Kurzum: Die Franzosen können als Volvo-Partner das komplette Programm an Baufahrzeugen auffahren – von der 4×2-Sattelzugmaschine bis zum 8×4-Kipper- oder Betonmischer-Fahrgestell.
Und: Der hydraulische Radnabenantrieb für die Vorderräder Optitrack ist für alle Spielarten erhältlich beziehungsweise adaptierbar: 4×2, 6×2/4 und 8×2/4, alle können von der Traktionshilfe profitieren. Als nichts anderes als einen Hilfsantrieb versteht man auch bei Renault die hydraulisch angetriebenen Vorderräder. Mit dem Zugeständnis: Erst eine echte angetriebene Vorderachse kann mehr und macht einen Allradantrieb aus. Aber: Optitrack kann auch viel – und die über Wellen angetriebene Vorderachse in vielen Fällen ersetzen.
Das ist vor allem leichter. Während eine wellengetriebene Vorderachse knapp eine Tonne Mehrgewicht verursacht, liegt der hydraulische Antrieb gerade mal bei der Hälfte. Exakt um 456 kg erhöht Optitrack das Leergewicht der 4×2-Sattelzugmaschine,
beim Vierachser mit zweiter angetriebener Vorderachse sind es um die 500 kg. Angesichts eines erklecklichen Gewinns an Traktions-Sicherheit ist der Verlust einer halben Tonne Nutzlast durchaus zu verschmerzen. Kostentechnisch reden wir bei Optitrack von einem Aufpreis (Liste) um 18.000 Euro – was wiederum rund 7.000 Euro günstiger ist als eine mechanisch zuschaltbare Vorderachse im 4×4-Sattel.
Im Schleichtempo und rückwärts
schlägt die Stunde von Optitrack
Damit wären die wichtigsten Eckpunkte schon mal angerissen: Ein deutliches Plus an Traktion für relativ geringes Geld also. Am meisten profitiert tatsächlich die 4×2-Sattelzugmaschine, neben dem 8×4, in bestimmten Einsätzen von dem Hilfsantrieb an den Vorderrädern. Und am meisten bei Leerfahrt im leichten Gelände und auf zweifelhaften Reibwerten, wie sie bei Nässe oder Frost auftreten. Der an sich geringen Leistung pro Rad (41 kW) steht das hohe Antriebsmoment (um die 6.000 Nm) gegenüber. All dies deutet schon darauf hin, wann Optitrack am stärksten ist. Nämlich bei ganz langsamen Geschwindigkeiten. Nur zwischen Null und 15 km/h lässt sich der Hydro-Antrieb aktivieren, zieht dann aber bis maximal 25 km/h Fahrgeschwindigkeit die Fuhre nach vorn. Oder nach hinten: Denn gerade bei Rückwärtsfahrt – etwa hinein in eine weiche Deponie – sind die angetriebenen Vorderräder Gold wert. Wenn der ganze Zug wegen des hohen Fahrwiderstands hinten einen Katzbuckel macht und dabei die Antriebsachse bis zum vollständigen Abheben von jeglicher Traktionsarbeit entbindet, dann schlägt die Stunde von Optitrack: Jetzt liefern die gut mit Gewicht beaufschlagten Vorderräder das entscheidende Quäntchen Antriebskraft für die letzten paar Meter.
Anfahren in der Steigung: Wenn die wenig belastete Antriebsachse durchdreht, hilft manchmal nur die hintere Quersperre. Reicht die auch nicht, können die Radnabenmotoren das Fortkommen sichern. Muss man neu anfahren, ist – je nach Steigung – oft auch eine Hochschaltung sinnvoll. Das funktioniert mit dem schnell schaltenden Optidriver-Getriebe (eine Abwandlung von Volvos I-Shift) bestens. Der kurze Drehzahlabfall ist dabei kein Problem, obwohl die Pumpe für die Vorderräder am motorseitigen Nebenabtrieb hängt. Die so genannten Addi-Flow-Ventile, die zwischen Pumpe und Radnabenmotoren den Ölfluss regeln, können den Öldruck für die kurze Zeit des Schaltvorgangs aufrechterhalten, sodass das Antriebsmoment der Vorderräder nur unwesentlich einbricht.
Die spezielle Bauweise des Renault-Hydrodrives bedingt allerdings lange Leitungen: Von der Pumpe geht’s zuerst einen Meter nach hinten zum Addi-Flow-Ventil. Von dort wieder nach vorn, schon aufgeteilt in rechts und links, zu den Radnabenmotoren. Das kritische Stück zwischen Rahmen und Radführung überbrücken die beiden Hochdruckleitungen in elegantem Bogenschwung. Just dort, wo sich der Drehpunkt des gelenkten Rads befindet, ist auch der Übergabepunkt von der flexiblen Schlauchleitung zur starren Rohrleitung. Die beiden Rohre werden in einer massiven Schiene ganz nach unten zum Anschluss des Radnabenmotors geführt. Eine relativ aufwendige und keinesfalls leichte Ansteuerung, die aber ihre Vorzüge hat: Minimale Torsion der Schläuche (früher immer ein Verschleißkriterium) und offener Zugang zu den Anschlüssen sind ein klarer Werkstatt-Vorteil.
Ungewöhnlich auch, dass Renault die Optitrack-Zugmaschinen mit Hundert-Prozent-Reifen der Dimension 13 R 22,5 ausstattet. Das sind große Räder mit hohen Flanken, die zwar im Gelände besser rollen als 70er- oder 80er-Reifen, denen aber auch eine gewisse Spurrillen-Empfindlichkeit nachgesagt wird. Letztere können wir nicht bestätigen – im Gegenteil: An den typischen Stellen mit tiefen Spurrillen läuft der Renault völlig unbeeindruckt geradeaus, wie es sich gehört.
Bei der Abstimmung wurde
vieles richtig gut gemacht
Auf der Landstraße fällt freilich eine gewisse Unruhe um die Mittellage auf, die Lenkung beansprucht daher viel Aufmerksamkeit, ist für ein Baufahrzeug sehr direkt übersetzt und vermittelt gleichzeitig eine sehr hohe Fühligkeit zur Straßenoberfläche. Die Federung ist straff aber nicht unkommod: Das vorne und hinten stahlgefederte Fahrerhaus durcheilt flott gefahrene Kurven ohne sich auch nur ein Jota zu neigen. Die doppelten und nach Volvo-Manier gekröpften Parabelfedern sind steif, aber auch bei Leerfahrt nicht zu hart. Sehr gelungen, diese Abstimmung.
Und auch der Antriebstrang kann überzeugen: Bei überwiegendem Landstraßeneinsatz ist die Wahl eines Overdrive-Getriebes in Zusammenarbeit mit einer einfach übersetzten Hinterachse exakt das Richtige. Im direkten Elften dreht der Renault sehr gesunde 1.150 Umdrehungen bei 65 km/h nach GPS (66 km/h Tacho). Damit packt er alle kleineren Steigungen unter Ausnutzung des maximalen Drehmoments bis herunter auf 900 Umdrehungen. Dabei zeigt sich der neue GPS-Tempomat Optivision meist recht scharfsichtig. Er erkennt die meisten Kuppen auf der Landstraße und meistert auch die wellige Autobahn exakt mit den eingestellten Schwungspitzen. Optivision ist eine Renault-Adaption von Volvos I-See und nutzt genau den gleichen Landkarten-Pool wie Volvo: Einige Kuppen auf der Landstraße hat Optivision jedoch genauso wenig in der Cloud abgespeichert wie bis vor kurzem I-See. Volvo hat hier in der letzten Software-Version gründlich nachgebessert. Das gleiche dürfen wir in Kürze auch bei den Renault-Datenbeständen in der Cloud erwarten.
Dieser Renault C ist zudem einmal mehr ein typisches Beispiel für die Sinnhaftigkeit von Eco-Roll. Optiroll, wie Renault den Freilauf nennt, ist hier sehr fein abgestimmt und überzeugt durch lange Rollphasen. Auf den berühmten Dip ins Speed-Töpfchen, um nochmal zwei bis drei km/h zur Verlängerung von Rollphasen zu erhalten, verzichtet Renault. Als Kritikpunkt bleibt hier nur die relativ enge Auswahl an drei verschiedenen Fahrprogrammen mit starr abgelegten Schwungspitzen und Kuppen-Geschwindigkeiten. Hier wünscht man sich doch etwas flexiblere, der Verkehrsdichte und den persönlichen Vorlieben anpassbare Grenzgeschwindigkeiten.
Mit der Motobremse geschmeidig
den Kindinger Berg hinab
Ganz und gar nicht vermissen wir dagegen den Retarder als verschleißlose Dauerbremse. Die Optibrake+ Motorbremse (eine Analogie zu Volvos VEB+) packt auch schon ab 1.800 Umdrehungen ordentlich zu und vermag uns den Kindinger Berg hinunter locker im neunten Gang konstant und ohne Beibremsung im geforderten Geschwindigkeits-Fenster zu halten. Bemerkenswert, wie geschmeidig Renault die Runterschaltungen bis in den effektiven Bremsbereich gestaltet. Teilweise wird hier auch mal ein ganzer Gang übersprungen, die Drehzahlanschlüsse gelingen dabei sehr schnell, exakt und ohne ruckeln. Das ist schon die hohe Schule der automatisierten Motorbrems-Steuerung. Chapeau!
Entsprechend den ausnehmend guten Rolleigenschaften fallen auch die Verbrauchswerte aus. Dabei ist der Testwagen mit knapp 2.000 km auf dem Tacho noch nicht einmal eingefahren. Mit 32,3 l/100 km reinem Autobahnverbrauch liegt der C 440 4×4 Optitrack nur 1,3 Prozent über den Werten seines 480-PS-Marken-Pendants ohne Optitrack. Den 500er MAN Hydrodrive ohne Eco-Roll und GPS-Tempomat lässt der Renault mit fast 14 Prozent weniger Verbrauch weit hinter sich. Auf der Landstraße verringern sich die Abstände: Der Renault verbraucht hier gegenüber seinem Hydrodrive-Konkurrenten MAN (mit AP-Achse und ebenfalls Overdrive-Getriebe) nurmehr fünf Prozent weniger, ist aber auch wegen seiner geringeren Nennleistung um 2,7 Prozent oder 1,5 km/h langsamer unterwegs, vor allem an den schweren Bergpassagen.
Mit dem nur gering belasteten, großen 13-l-Motor setzt Renault auch auf eine lange Lebensdauer beziehungsweise Einsatzzeit für die C-Sattelzugmaschine. Wer auf maximale Gewichtsersparnis setzt, sollte trotzdem den kleinen 11-l-Motor mit 480 PS ins Kalkül ziehen. Er dürfte ähnlich sparsam sein wie der zuvor gefahren C 480 ohne Optitrack und ohne GPS-Tempomat. Irgendwie tröstlich zu wissen, dass so praktische Dinge wie Optiroll und Optivision den nur leicht erhöhten Fahrwiderstand durch Optitrack mehr als wettmachen können. Optimal.