Renault füttert mit Refurbishing den Markt für Baufahrzeuge
In München stellte Renault Trucks unlängst sein komplettes Programm an E-Trucks vor. Im Zeichen der Dekarbonisierung reiste Präsident Bruno Blin mit der Bahn an. bd-Nutzfahrzeug-Experte Robert Domina konnte mit ihm und seiner Mannschaft sprechen.
Monsieur Blin, Sie erwähnten in Ihrer Präsentation ein Refurbishing-Programm. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Blin: Ja, gerne. Wir haben – wie wir es nennen – eine Gebraucht-Lkw-Fabrik in Bourg en Bresse. Ich glaube sogar, das ist ziemlich einzigartig in der Branche. Es ist so eine Art Werkstatt innerhalb des Werks, wo wir ältere 4×2-Sattelzugmaschinen aufbereiten. Wir überholen die Fahrzeuge komplett und machen daraus zum Beispiel Bau-Zugmaschinen für den Kippsattel. Das Ganze ist ein wichtiger Teil unserer Kreislaufwirtschaft-Initiative. Wir haben auch Verträge mit Kunden: Deren Fahrzeuge nehmen wir nach drei oder vier Jahren zurück und richten sie komplett wieder her. Sie bekommen einen Total-Checkup, wir prüfen Motor, Getriebe, updaten jede Software – das ganze Programm eben. Bei Bedarf bauen wir auch zum Beispiel neue Sitze ein oder ersetzen verschlissene, unansehnlich gewordene Kabinenteile. Unsere Kunden schätzen diese Refurbished-Fahrzeuge sehr. Manche Fahrer wollen sogar lieber ihren gewohnten, komplett überarbeiteten Truck als ein Neufahrzeug. Wir geben auch die gleichen Garantien wie für Neufahrzeuge – das ist eine echte Win-Win Situation.
Aber was genau steckt hinter der Idee, eine Fernverkehrs-Sattelzugmaschine in ein Baufahrzeug zu verwandeln?
Blin: Das erfordert sozusagen der Markt. Der besteht hauptsächlich aus 4×2-Sattelzugmaschinen, gefragt sind aber auch Fahrgestelle für diverse Aufbauten. Weil diese jedoch nur sehr schwer als Gebrauchte zu finden sind, bauen wir die Sattelzugmaschinen zu solchen Typen um, die der Kunde gerade verstärkt nachfragt. Lkw-Fahrgestelle sind wirklich selten auf dem Gebrauchtmarkt, weil unsere Kunden sie sehr lange im Betrieb halten und nutzen.
Ähnlich wie Ihre Konzernschwester Volvo Trucks bieten Sie batterie-elektrische Fahrgestelle in 4×2- und 6×2-Bauweise für den Bau an. Das Kundeninteresse an elektrifizierten Baufahrzeugen scheint jedoch noch sehr verhalten. Woran liegt das?
Blin: Schauen Sie: Der Gesamtmarkt liegt derzeit bei knapp einem Prozent Elektrofahrzeugen, der Renault-Bestand bei immerhin zwei Prozent. Wir stehen eben noch ganz am Anfang der Transformation, der hohe Anteil an BEV-Fahrzeugen bei Renault zeigt aber, dass wir hier bereits jetzt sehr erfolgreich unterwegs sind. Der Wille zur CO2-Einsparung steigt – und damit auch der Wunsch von Kunden zum Beispiel nach vollelektrischen Betonmischer-Fahrgestellen.
Nehmen wir ein 6×2 Fahrgestell: Was kostet das batterie-elektrisch mehr als die normale Dieselversion?
Blin: Klar ist der E-Truck derzeit noch teurer in der Anschaffung. Wir sollten jedoch über Total Costs of Ownership sprechen, also die Gesamtkosten über die gesamte Lebensdauer. Hier unterliegen E-Fahrzeuge völlig anderen Strukturen als das gewohnte Dieselfahrzeug. Sicher ist nicht jeder Einsatz für ein BEV geeignet. Aber wir haben Kunden, die bereits heute von elektrischen Fahrzeugen profitieren.
Woher kommen die Batterien für ihre Fahrzeuge? Der gesamte Antriebsstrang ist ja nahezu baugleich wie bei Volvo Electric.
Blin: Ja, das stimmt. Wir nutzen hier natürlich die Synergien des Konzerns, sprich der Volvo Group. Die Zellen beziehen wir von Samsung, die Batteriepakete bauen wir selbst in unserem Werk in Gent.
Zum Thema State of Charge: Wie erklären Sie Ihren Kunden, dass die eigentlich nur 80 Prozent der eingekauften Batteriekapazität nutzen können?
Blin: Oh, da sind wir ganz offen, das ist kein Geheimnis, aber da soll uns Loik Mellinand mal weiter helfen.
Mellinand: In der Tat geht es bei State of Charge um die Haltbarkeit der Batterien. Die anderen Hersteller verfolgen da eine ähnliche Strategie. Und die setzt voraus, dass nach oben hin Richtung Vollladung ein ungenutztes Fenster bleibt, genauso wie nach unten Richtung kompletter Entladung. Wenn wir beiden Bereichen einen Anteil von zehn Prozent der Batteriekapazität zusprechen, bleiben 80 Prozent für die eigentliche Nutzung, sprich den Antrieb. Diesen Wert geben wir, wie allgemein üblich, als Batteriekapazität an.
Nochmal zu den Bau-Anwendungen: Sind batterie-elektrische Fahrzeuge für diesen nutzlastsensiblen Einsatz nicht einfach zu schwer?
Mellinand: Das kann ich so nicht bestätigen. Es kommt vielmehr darauf an, das Fahrzeug und seine Transportaufgabe quasi neu zu denken. Wir sind hier auch sehr eng mit den Aufbauherstellern im Gespräch. Die haben beim BEV keinen Nebenabtrieb im klassischen Sinn zur Verfügung, sondern müssen sich ebenfalls eine elektrische Lösung ausdenken. Dieser neue Ansatz braucht seine Zeit. Aber seien sie versichert: Dass die BEV-Trucks in jeder Bauform kommen ist keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann.
Möglicherweise bietet ja auch ein H2-Direktverbrenner für manch schwerere Anwendung Chancen: Haben Sie da konkret etwas in der Pipeline?
Blin: Wir können da nur so viel sagen: Ja, wir entwickeln in diese Richtung. Und zwar auf Basis des 12,8 l großen Dieselmotors. Und wir werden daraus das gleiche Drehmoment und die gleiche Leistung wie beim Diesel erzielen.
Können Sie da schon etwas Genaueres zum Brennverfahren und Einspritzsystem sagen?
Blin: Ich fürchte Nein. Und ich kann Ihnen auch nicht sagen, wann so etwas kommen könnte. Schließlich sind wir in Europa ja auch noch weit entfernt von einer problemlosen Verfügbarkeit grünen Wasserstoffs. Dann brauchen sie ja auch noch ein Netz aus Elektrolyseuren und Verdichtern. Erst wenn wir diese Infrastrukturen sicherstellen können, macht der H2-Direktverbrenner Sinn. Und das wird wohl erst im nächsten Jahrzehnt soweit sein.