Scania 6×2 40 R mit E-Antrieb im Test
Zur Nutzfahrzeug-IAA präsentiert Scania neue, schwere E-Antriebe für den schweren Verteiler- und Fernverkehr. Die Großglockner-Hochalpenstraße diente als würdige Teststrecke mit ungeahntem Rekuperations-Potenzial.
Mir scheint, ich habe hier mehr Spaß am Bremsen als beim Spiel mit dem Gaspedal den Pass hinauf. Das ist in der Tat ungewöhnlich, reizt bergaufheizen doch eher die Sinne – mit Gas rein, Gas raus, schalten (lassen) und feiner Lenkarbeit. Aber dieser 26 t schwere Scania 6×2 40 R lässt seine Masse gnadenlos walten. Zum Glück haben die Scania-Techniker es geschafft, die bekannte Retarder-Funktion vom Verbrenner eins zu eins zu übernehmen. Sowohl was die Abstufung betrifft, als auch die Bedienung: Die läuft, wie beim Verbrenner, über den wohlbekannten rechten Lenkstockhebel und seine fünf Rasten. Die ersten beiden Stufen leiten allenfalls eine sanfte Verzögerung ein, um vielleicht hier und da die Geschwindigkeit auf der Ebene anzupassen.
Die Großglockner-Hochalpenstraße mit ihren 27 Kehren verlangt jedoch nach mehr Bremsleistung – die bringt der zum Generator umgepolte Elektro-Triebstrang locker. Bis zu zwölf Prozent Gefälle müssen wir hier abreiten, im Schnitt sind es immerhin acht Prozent zwischen den engen Kehren.
Kurz vor der Kehre kommt in der Regel die höchste, fünfte Stufe zum Einsatz. Da geht’s richtig zur Sache. Die Verzögerung, hier eigentlich eine Generatorleistung, ist wirklich heftig. Wer zu spät löst, bleibt im Kurvenscheitel fast stehen. Also schon vorher wieder den Hebel zurück und zügig durch die Kurve. Dann bleibt man so schnell, dass man abermals nur die Schwerkraft zum Beschleunigen braucht. Schon ist die nächste Kehre in Sicht und das Spiel am Retarder- oder, besser gesagt, Rekuperations-Hebel beginnt von Neuem.
Warum das Spaß macht: Bremsenergie wird hier nicht in unnütze Wärme verwandelt, sondern als elektrischer Strom wieder der Batterie zugeführt. Es ist, als würde man tanken. Das Ganze ist natürlich schwer von der Fahrzeugmasse abhängig. Und von der Steilheit der Gefälle. Wir haben das mal in einem früheren Test aufgezeigt: Je steiler der Berg und je höher die Masse, umso besser die Strom-Ernte. Gestartet waren wir im Tal bei 44 Prozent Batterie-Stand, oben am Großglockner war der Energievorrat auf 19 Prozent gesunken. Dieselbe Strecke zurück wieder zum Startpunkt im Tal: 34 Prozent Restkapazität. Wir haben also insgesamt nur zehn Prozent unseres Energievorrats verbraucht – dank ordentlicher Rekuperationsleistung.
Während wir bislang nur den einfachen EM C1-2-Antrieb im Scania 25 P erfahren durften, kommt jetzt mit den Antrieben EM C1-4 und EM C3-6 die schwere Klasse dazu. Die Typbezeichnungen der Antriebsmodule sind sogar logisch: EM bedeutet Elektromotor, das C steht für Central Position, also Längseinbau im Rahmen, die erste Zahl nennt die Anzahl der verbauten E-Motoren, die letzte Zahl die Anzahl der Gänge. Das sieht alles sehr nach Baukasten aus – und ist es auch. Wobei sich Scania noch etwas bedeckt hält, welche Einzelkomponenten hier miteinander verschraubt werden, um ein potentes E-Triebwerk zu erhalten.
Die Triebwerksblöcke sind vor allem beim C1-4 und C3-6 ganz schöne Brummer. Und die drei Motoren des C3 sind auch nicht gleich groß: Da wird ein größerer Hauptmotor von zwei etwas kleineren E-Maschinen ergänzt. Alle drei sitzen jedoch koaxial auf einer Antriebswelle. Welcher da wann zu- oder abgeschaltet wird, auch zum Zwecke einer Schaltung mit ununterbrochener Zugkraft – wir wissen es nicht. Macht nichts, denn schon bald soll eine MAN/Scania-Konzernlösung mit nur einem Motor dieses Dreier-Konzept ablösen, in den elektrischen MAN wird das Triebwerk bereits verbaut.
Es ist schon erstaunlich: Subjektiv hat man mit dem E-Sattel immer das Gefühl, ein bisschen flotter die Berge zu erklimmen. Da scheint Leistung ohne Ende abrufbar, was ja auch oft der Fall ist: Die E-Maschinen liefern einfach konstant hohes Drehmoment, was nicht immer genau auf den Einsatzzweck abgestimmt ist. Eigentlich wäre ja das maßgeschneiderte Triebwerk ideal. Haben wir aber in den seltensten Fällen. Mit modularen Batteriepaketen ist jetzt endlich mal ein Muster zu erkennen, wo die Reise hingeht bzw. hingehen muss: exakte Abstimmung des BEV auf seinen Einsatz. Nur so ist gewährleistet, dass kein Kilo zu viel Batterie am Rahmen hängt und kein Euro zu viel dafür ausgegeben werden muss.
Was wir momentan sehen ist meist das maximal Machbare. So auch bei den neuen schweren E-Scanias 40 und 45. Das sind Zugmaschinen der klassischen R- und S-Typen mit maximiertem Anbauraum für 624 kWh Batteriekapazität. Bei den Reichweiten halten die Södertäljer den Ball eher flach: um die 400 km stehen in den Unterlagen, freilich bei Ausladung von bis zu 64 t. Was vielleicht in Skandinavien möglich ist, bei uns aber nicht.
Für Maximal-Reichweiten braucht es aber viel Anbauraum für die Batterien. Und auch Scania geht hier den Weg der Radstands-Verlängerung: Von 3,75 auf satte 4,15 m wachsen die Scania-Radstände, wenn die maximalen 624 kWh zwischen die Achsen der Sattelzugmaschine passen sollen. Hier helfen die skalierbaren Batteriegrößen, Scania verbaut je zwei Pakete mit 208 kWh und zwei mit 104 kWh. Allein mit diesen zwei Größen lassen sich auch kleinere Kapazitäten von 208 oder 416 kWh darstellen und so gleichzeitig eine Menge Gewicht sparen – gut für den Einsatz als Kipper mit eher geringeren Tagesfahrleistungen. Denn mit gut 11 t ist auch die Scania-E-SZM ein ziemlicher Brocken und damit um die 4 t schwerer als eine gut ausgerüstete Diesel-Zugmaschine. Und wir erinnern uns: Von den 4 t Mehrgewicht bekommen wir nur 2 t als Kompensation gutgeschrieben.
Mit der Überlänge funktioniert es wie bei den anderen Herstellern auch über EG Artikel 9A: Steht diese Formel am Typschild im Türausschnitt ist gewährleistet, dass dieser Truck mit optimierter Aerodynamik CO2-sparend unterwegs ist. Passt er durch den BO-Kraftkreis, sind Überlängen von 25 bis 30 cm kein Thema und vom Artikel 9a abgedeckt.
Zur Finanzierung und Förderung der BEV stellte sich tapfer Christian Teichmann von Scania Finance Deutschland. Nicht, dass er ein düsteres Bild zeichnen würde, nach dem ersatzlosen Auslaufen der Förderung für BEVs. Man sei auch im Diesel- und LNG-(LBG-)Geschäft sehr gut unterwegs. Die Aufträge für geförderte BEV werde man noch bis Ende nächsten Jahres abarbeiten. Dann jedoch werde es schwierig. Nachvollziehbar: Wer kauft schon einen drei Mal so teuren Truck im Vergleich zu einem Dieselfahrzeug. Und dass beim Leasing die Kosten über die Laufzeit eines E-Trucks kalkulierbar sind, hilft auch nichts, wenn ein E-Truck-Leasing dann eben auch drei Mal so teuer wie beim Diesel ist.
Gleichwohl läuft das Hauptgeschäft nach wie vor über die konventionellen Antriebe, die machen mehr als 90 Prozent des Umsatzes aus, so Teichmann mehr oder weniger entspannt. Zudem hat Scania eine eigene Firma gegründet: Erinion soll Kunden den Schritt in die E-Mobilität zu erleichtern.