Scania Winter Drive 2023 in Trysil
Wer mal ganz wilde Kombinationen, Züge und Achskonfigurationen Probe fahren will, ist beim Scania Winter Drive bestens aufgehoben: Mit Gesamtgewichten gerne bis zu 60 t darf man im Winter-Wunderland von Trysil in Norwegen Traktionsverhältnisse ausloten, die wir hierzulande gar nicht mehr kennen.
Wenn Örjan Aslund, bei Scania Head of Press-Testing & Product Affairs, beim Briefing von Wölfen spricht, steigt die Aufmerksamkeit und alle spitzen die Ohren. Aber Örjan gibt Entwarnung: Heuer sei der Schnee in den Wäldern viel zu hoch, viel zu trocken und zu locker, um dem Wolf ein veritables Jagd-Terrain zu bieten. Das trockene, kalte Klima habe selbst hier für nicht alltägliche Verhältnisse gesorgt: Der Schnee will sich einfach nicht verdichten, weder auf den Straßen noch auf den Pisten rund um Trysil.
Salz streuen die Norweger ungern: Wird es bei Sonneneinstrahlung wärmer, taut die Oberfläche des bereits stumpf gefahrenen Eises und es wird höllisch glatt. So wie heute. Dann lieber Gravel in den Streuwagen, ein Gemisch aus Sand und Split. Damit lässt sich ganz gut zurechtkommen, solange der Schmirgel noch nicht ins Eis eingefahren ist. Dann bleibt die Straße wenigstens stumpf und bietet erstaunlich viel Traktion.
Genau darum geht es beim jährlichen Scania Winter Drive nahe dem norwegischen Skiort Trysil: Traktion. Scania Norge und Scania Sweden fahren gemeinsam für diesen Fahrevent speziell die Achskonfigurationen auf, die besonders guten Grip bei nordischen Bedingungen bieten. Dazu kann ein ganz normaler 6×4-Kipper zählen, dessen Kurvenwiderstand ein dreiachsiger Zentralachsanhänger ordentlich in die Höhe treibt. Die Bundesstraße runter bis zum Wendekreisel nach der Brücke – Gefälle um die vier Prozent – läuft dieses gut 54 t schwere Gespann wie auf Schienen. Im vielleicht etwas beherzt angefahrenen Kreisverkehr erste Schlupf-Erscheinungen, Gas weg hilft.
Nach queren der Brücke über den zugefrorenen Klarälven kommt die entscheidende Stelle: Ein Linksabbieger mit Stopp-Stelle, danach geht’s die Bundesstraße wieder hoch zum Flugplatz, unserer Homebase. Da muss man rechtzeitig Geschwindigkeit aufbauen, sonst droht Gefahr, in der Steigung zu verhungern und letztlich stehen zu bleiben.
Achlast-Verschiebung als Allzweck-Waffe
Mein Vordermann mit dem 8×4-Holz-Zug hat massiv Probleme, in Schwung zu kommen. Schließlich schubbert er sich mühsam übers Eis in die Fahrspur und kann beschleunigen. Mein Scania-Buddy auf dem Beifahrersitz hat mir schon oben auf dem Berg geraten, die Taste für die Achslast-Verlagerung zu betätigen. Im Zentraldisplay ist dann schön zu sehen, wie die Last von der letzten zur ersten Antriebsachse wandert. Die erste Antriebsachse presst jetzt schon mal 16 t aufs Eis. Und das hilft gewaltig. Obwohl der dreiachsige Zentralachs-Hänger hinten ganz schön zerrt, komme ich mit Minimal-Schlupf um die Kurve und bergauf buchstäblich schnell wieder in die Gänge. Die Achslast-Verschiebung per Knopfdruck erweist sich als Allzweck-Waffe bei diesen Bedingungen. Klar: Das Doppelachs-Aggregat erst mal längs, und zur Not auch mal quer durchzusperren, hilft auch. Aber nicht bei 90 Grad um die Kurve – da will der Dreiachser nur noch gerade aus, das bringt uns hier nicht weiter.
Den geringsten Kurvenwiderstand haben freilich die hier versammelten Gliederzug-Varianten. Egal ob Holztransporter, Kipper oder Abrollkipper: Die Drehschemel-Anhänger mit ihren langen Deichseln kommen am leichtesten um die Kurve, wenn’s so glatt ist. Schwerer tun sich die hier üblichen sechsachsigen Sattelzug-Kombinationen. Vorne eine 6×4- oder 6×2-Sattelzugmaschine, hinten am Trailer drei Achsen mit zurückgesetzter und lenkbarer letzter Achse. Das ist hier sehr sinnvoll. Der Unterschied zum ebenfalls gefahrenen, starren Dreiachs-Aggregat am Trailer ist deutlich. Mit letzterem habe ich an besagtem Linksabbieger die meisten Probleme wieder in Schwung zu kommen, trotz weidlich ausgenutzter Achslast-Verschiebung.
Aufkeimende Zweifel, ob das denn auf Dauer gut für die Antriebsachsen sein kann, zerstreut mein Beifahrer, indem er bei der Probefahrt mit der E-Sattelzugmaschine (neu: 40 R) erst mal die Nachlaufachse komplett liftet und die Anzeige über 17 t auf der nunmehr allein belasteten Antriebsachse anzeigt. Okay, ist ja nicht mein Auto. Aber es funktioniert tadellos, sogar durch den Traktionspark, den der Schneepflug hier in vermutlich stundenlanger Arbeit in den Tiefschnee gefräst hat. Elektroantrieb auf Schnee und Eis – vollkommen unspektakulär: Zum einen lässt sich der E-Motor beim Anfahren sehr feinfühlig steuern, zum anderen funktioniert natürlich auch beim E-Truck die Antriebs-Schlupf-Regelung (ASR) einwandfrei.
Damit die Antriebsachse keinen Schlupf erwischt
Den Retarder komplett auszuschalten empfiehlt sich bei diesen Straßenverhältnissen nicht nur – unsere ortskundigen Profi-Beifahrer bestehen sogar darauf. Schließlich wirkt der Retarder – oder beim E-Truck der E-Motor als Generator – direkt auf die Antriebsachse. Und sollte die Schlupf bekommen, kann’s schnell kritisch werden. Zwar hängt auch ein Retarder regelungstechnisch am ASR und sollte bei auftretendem Schlupf automatisch zurückgeregelt werden. In der Praxis reagiert das System aber viel zu träge, um das blitzschnell auftretende Ausbrechen der Hinterachse zu vermeiden. Gut beim Scania: Der Retarder oder die Rekuperationsfunktion des E-Motors lässt sich direkt am Retarderhebel über einen Schiebschalter komplett deaktivieren.
Angesichts der glatten Straßenverhältnisse war es eine weise Entscheidung der Scania-Leute, nur voll beladene Fahrzeuge auf die Straßen zu schicken. Schade nur, dass wir deshalb die Vorzüge der von Scania still und leise eingeführten liftbaren Antriebsachse nicht selbst erfahren konnten. Die für Leerfahrt liftbare Antriebsachse ist bei Scania schwer zu erkennen, weil der Liftbalg, der die Achse bei Nichtgebrauch anhebt, sich tief im Chassis zwischen den beiden Antriebsachsen neugierigen Blicken entzieht.
Immerhin: An einem geparkten 6×4 mit überlanger Kipp-Rundmulde offenbarte sich die Achse sogar in gelupftem Zustand, allerdings mit einer für unsere Verhältnisse reichlich seltsamen Reifen-Kombination: Während die erste Antriebsachse ganz normal mit 315/80 besohlt ist, zieren die Liftachse kleinere 295/60 R 22,5. Sieht komisch aus, macht aber Sinn, wenn bei manchen Einsätzen die Hubhöhe der Liftachse ein Thema ist.
Und dann war da noch die XL-Kabine. Aber leider nicht mit den neuen Maßen wie bei DAF. Denn diese XL-Kabine erweitert lediglich die Tiefe der normalen R-Kabine um 30 cm nach hinten. Mit der Folge, dass der Durchschwenk-Raum zwischen den Endkanten-Spoilern nun mit zusätzlichem Wohnraum und einem dicken Plus an Bettbreite ausgefüllt ist.
Demzufolge müsste ein normaler 13,6-m-Auflieger entsprechend nach hinten rücken, was weiters ein Überschreiten der erlaubten Gesamtlänge zur Folge hätte. Jedenfalls hierzulande. Aber: So eine XL-Kabine – die wir auch schon vom skandinavischen Marktbegleiter Volvo kennen – wäre natürlich eine Alternative für alles, was kürzere Trailer zieht, nämlich Kipp-, Tank und Silo-Auflieger.
Insgesamt einmal mehr eine lehrreiche Veranstaltung, in jeder Hinsicht. Schnee ist nicht gleich Schnee und Eis nicht gleich Eis. Wie auch immer: Die Sinnhaftigkeit verschiebbarer Achslasten wurde hier aufs Trefflichste belegt. Und Scania hat sich getraut, die ersten E-Trucks buchstäblich aufs Glatteis zu schicken. Ohne Ausrutscher. Auch das ein gutes Zeichen.