Kippertest 6/2016

Tatra Phoenix 8×8 mit Zentralrohr-Rahmen

Er ist wieder da. Und sein Name ist Programm: eben wie Phoenix aus der Asche. So heißt er auch: Tatra Phoenix. Als 8x8 haben wir den Tschechen gefahren und staunten nicht schlecht über die Qualitäten, die in dem legendären Rohrrahmen-Konzept stecken.

Tatra Phoenix 8x8 mit Zentralrohr-Rahmen
Der Tatra ist seit jeher für sein extrem verschränkungsfähiges Fahrwerk bekannt. Der positive Radsturz lässt den Tschechen etwas o-beinig wirken; seine Geländegängigkeit und der Fahrkomfort sind einzigartig. (Bild: bd/Domina)

Man weiß es ja nicht: War es nun ein rabenschwarzer oder ein glücklicher Tag für die Tatra-Belegschaft, als ihr Werk 2013 im tschechischen Koprivnice für angeblich nur neun Millionen Dollar in einer Auktion an einen – laut Wikipedia – „amerikanischen Investor“ verramscht wurde. Vermutlich eher ein glücklicher, denn Fakt ist: Seither geht es aufwärts mit der tschechischen Traditionsmarke. Eigentlich schon seit 2011. Denn ab diesem Zeitpunkt nahm sich Daf der Zulieferung von Motoren und Kabinen an. In der Tat ist der Tatra Phoenix ein klassischer Komponenten-Truck: Unten trägt der legendäre Tatra-Zentralrohr-Rahmen mit Pendelachsen, obenauf sitzt die Kompakt-Kabine aus der Daf-CF-Reihe, dazwischen werkelt der MX 13 von Paccar mit 12,9 l Hubraum.

Tatra-Händler ist hierzulande seit Mitte 2015 die Salzburger Tschann-Gruppe. Dort kümmert man sich schon seit 1972 um den Import und Vertrieb von Daf-Fahrzeugen in Österreich, Südtirol und Südbayern. Die bayerische Vertriebszentrale ist heute in Poing bei München beheimatet, unseren Test-8×8 stellte jedoch die Salzburger Zentrale dankenswerter Weise zur Verfügung.

Den brandneuen 8×8 mit nur 1.000 km auf dem Tacho baute Tschann mit einer für den österreichischen Markt spezifizierten Gesteinsmulde von Meiller auf. Der 5 m lange und 90 cm hohe Zweiseitenkipper aus Hardox-Stahl ist eine Spezialität: Seine pendelnd aufgehängte Heckklappe wird von einer hydraulisch hochklappbaren Schütte verriegelt. Das spart Bauraum, es kann kein Material auf der Schütte liegen bleiben und sie verschließt das Heck absolut dicht. Seitlich ist nur die linke Bordwand zu öffnen. Diese Arbeit übernimmt ein an der Stirnwand sitzender Hydraulik-Hebel. Das Ganze ist zwar keine klassische Bordmatic mit schweren, unter der Bordwand sitzenden Hydraulikzylindern, erfüllt aber den gleichen Zweck: das dosierbare seitliche Abkippen mit größtmöglichem Abstand zu den Reifen. Der Unterbau der Mulde ist auf höchste Belastung ausgelegt: Eng gestaffelte Querrippen und zwei kräftige Längsholme versteifen den Boden und machen ihn unempfindlich selbst gegenüber größeren Felsbrocken und Abbruch.

Tatra Phoenix 8x8 Einstieg
> zur Galerie

Das eigentliche Sahnestück des Tatra ist aber sein Zentralrohr-Rahmen. Er ist quasi das Rückgrat aller Tatra Kipper, die es in dieser Bauart vom 4×4 bis zum 8×8 gibt. Die an das durchgehende Tragrohr pendelnd angehängten Halbachsen bieten einen enormen Federweg, bei gleichzeitig minimaler Verwindung für die Aufbauten. In Längs- und Querrichtung laufen alle Antriebswellen im Inneren des Rohrrahmens (vgl. Grafik). Jede Achshälfte wird dabei von einem eigenen Tellerrad (blau und lila) angetrieben. Eine Besonderheit, die – fürs Auge unsichtbar – dazu führt, dass die beiden gegenüberliegenden Achshälften nicht exakt in einer Flucht liegen, sondern mehrere Zentimeter versetzt sind. Das Differenzial für den Momentausgleich kann bei dieser Bauweise auch nicht im Achszentrum liegen. Stattdessen sitzt der Planetensatz des Ausgleichsgetriebes (grün) längs auf der Haupt-Antriebswelle vor jeder angetriebenen Achse. Mit dieser extrem kompakten Bauweise lassen sich sehr hohe Antriebsmomente übertragen, ohne auf Außenplaneten-Achsen zurückgreifen zu müssen.

Die Motor- und Getriebe-Einheit müssen bei diesem Konzept freilich hoch über dem Zentralrohr-Rahmen untergebracht werden. Eine kurze Kardanwelle leitet die Antriebskraft vom Getriebeausgang direkt ins Verteilergetriebe. Es ist mit oder ohne Geländeübersetzung erhältlich. Im Geländemodus teilt es das Antriebsmoment mit dem moderaten Faktor 1,44 in Richtung höhere Momente und kleinere Geschwindigkeit. Eines ist bei dieser Ausstattung sicher: Geländegängiger als diese Konfiguration ist wahrscheinlich nur noch ein Kettenfahrzeug.

Über Schlaglöcher gleiten ohne zu klappern

Reden wir von Komfort und Geschwindigkeit: Von jeher reklamiert Tatra eine besonders hohe Transportgeschwindigkeit im schweren Gelände. „Wo herkömmliche Kipper-Chassis mit maximal 20 km/h unterwegs sind, erreicht der Tatra die doppelte Geschwindigkeit im Gelände“, so Anton Gebert, Marketingleiter bei Tschann. Wir überprüfen das auf unserem Schlechtweg-Stück zwischen den Eichstätter Steinbrüchen und stellen fest: Vor allem leer ist die Luftfederung der Pendelachsen tatsächlich beeindruckend. Wir gleiten quasi über die zahlreichen Schlaglöcher, der Aufbau und die Kabine bleiben ruhig und vor allem leise – da klappert nichts. Und auch der Wendekreis lässt staunen: Der 8×8 zirkelt trotz seiner angetriebenen (zuschaltbaren) Vorderachsen einen Wendekreis in den Schlick, der jeden normalen 8×4 alt aussehen lässt. Der Grund für dieses Paradoxon liegt einmal in dem relativ weiten Achsabstand zwischen erster und zweiter Achse und zweitens am enormen Lenkeinschlag trotz der Kardangelenke in den Achsköpfen. Es gibt vieles an diesem Truck, das einen staunen lässt.

Dazu gehört übrigens auch die Lenkung: Mit ganzen sechs Umdrehungen von ganz links nach ganz rechts ist sie selbst für einen Vierachser extrem hoch übersetzt. Das erfordert natürlich viel Kurbelei im Kreisel und auch wieder raus, denn Rückstellkräfte sind praktisch nicht vorhanden. Dafür ist der Geradeauslauf geradezu vorbildlich und mit viel Kontakt zur Fahrbahn eingestellt. Das Lenkgetriebe sitzt beim Tatra 8×8 nicht wie sonst üblich vorne am Rahmen, gleich unter der Kippkante der Kabine, sondern ziemlich weit hinten, direkt am Rohrrahmen auf Höhe des Getriebes. Das erfordert ziemlich lange Stangen für die Anlenkung. Dass die Lenkung trotzdem so exakt und spielfrei arbeitet spricht für die Sorgfalt der Tatra-Ingenieure.

 

Anton Gebert, Leiter Marketing, Tschann, Salzburg

Standpunkt: Anton Gebert, Leiter Marketing, Tschann

„Wir sehen uns mit diesem Fahrzeug nicht im Wettbewerb mit dem normalen Straßen-8×4, sondern eher mit dem klassischen Dumper für die Grube und den Fernstraßen-Bau. Bei der Transportleistung liegen wir mit dem 8×8 wegen der hohen Gesamtgewichte auf ähnlichem Niveau, bei den Gesamtkosten jedoch wesentlich günstiger. Dazu kann der 8×8 auf eigener Achse auf der Straße von Baustelle zu Baustelle gelangen. Und – um von vorneherein Missverständnisse zu vermeiden: Der Tatra 8×8 ist eben nicht ein vermeintlich günstiger Vierachser aus Tschechien; dieser Tatra ist ein Spezial-Equipment für ganz spezielle Einsätze.“

 

Bedenkt man, wofür der Tatra Allradler gebaut ist – nämlich für schwerste Lasten in schwerstem Gelände – relativiert sich sogar das auf den ersten Blick hohe Leergewicht von 17,7 t. Zum Vergleich: Ein normaler Straßen-Vierachser in 8×4-Konfiguration bringt in der Regel gut 15 t auf die Waage. Das heißt: Beim Straßenbetrieb mit 32 t Gesamtgewicht bleiben rund 17 t für echte Nutzlast, beim Tatra 8×8 aber nur knapp 15 t. Jedoch ist das auch nicht die Domäne des Tatra 8×8. Der ist in der Regel abseits öffentlicher Wege schnell und effizient unterwegs – und zwar mit bis zu 44 t technisch möglichem Gesamtgewicht. Jetzt schaut die Rechnung schon ganz anders aus, wir können Nutzlasten von gut 26 t bewegen – und das auf widrigstem Terrain. Es ist schon so, wie Anton Gebert von Tschann Austria bemerkt: Ein 8×8 dieser Provenienz macht eher dem Dumper Konkurrenz.

Dazu passt auch der Daf-Antriebsstrang: Wohl sind die 460 PS und die 2.300 Nm des MX13-Sechszylinders eine Standard-Motorisierung für den Vierachser. Aber auch 510 PS wären möglich – dann aber mit AP-Achsen, welche die 2.500 Nm des Daf-Spitzenaggregats etwas schonender an die Räder bringen. Im Testwagen war auch das gute alte ZF-Ecosplit in 16-stufiger Overdrive-Ausführung verbaut. Das manuell zu bedienende Getriebe sortiert die Gänge dank Schaltkraft-Unterstützung selbst im Neuzustand sehr leichtgängig – die schmerzende Schulter am Abend eines an Schaltungen reichen Tages ist damit Geschichte. Natürlich gibt es für die Tatras auch die zwölfstufigen, automatisierten AS-Tronic-Getriebe, wie sie auch in den Daf-Fernverkehrs-Sattelzugmaschinen eingebaut sind. Die feinere Abstufung und weitere Spreizung der 16-Gang-Getriebe ist aber durchaus sinnvoll für die schwereren Einsätze des Tatra 8×8. Allerdings ist es schon eine Weile her, dass wir „handgerissene“ Ecosplit-Getriebe bewegt haben. Aber Gruppe und Split mal wieder händisch zu wählen ist wie Fahrrad fahren – sowas verlernt man nicht.

Tatra Phoenix 8x8 Klappschurre
> zur Galerie

Den Triebstrang haben die Tatra-Ingenieure ungewöhnlich lang ausgelegt. Und wohl wissend, dass der Tatra nur selten eine Autobahn frequentiert, mit einem Overdrive-Getriebe ausgestattet. Der direkt durchtreibende Gang ist also „16 klein“. Damit kurbelt der Allradler bei Landstraßen-Geschwindigkeit grade mal gut 1.100 Touren und fordert so von seinem Daf-Triebwerk maximales Drehmoment. Der Paccar-Sechszylinder beherrscht diesen niedrigen Drehzahlbereich ziemlich gut und hängt auch hier dank variablem Lader sehr lebendig am Gas. Auf der Autobahn im höchsten und mit 0,84 ins Schnelle übersetzten höchsten Gang, pflegt der Tscheche ebenfalls moderate Drehzahlen: 1.140 Umdrehungen bei 85 km/h sind gut 200 Umdrehungen weniger als bei einem normal übersetzten Straßen-8×4. Diese Übersetzungs-Philosophie passt also sehr gut zu dem Allrad-Vierachser und erlaubt moderate Drehzahlen bei direktem Durchtrieb auf der Landstraße.

Wie im Gelände so auch auf der Straße

Fährt sich der Tatra schon im Gelände überaus komfortabel, so gilt das erst recht für die Straße: Wellige Fahrbahnbeläge bügelt er einfach glatt, in die angenehm straff und perfekt isoliert aufgesetzte Daf-Kabine dringen weder Stöße noch Geräusche von Fahrwerk und Reifen durch: Mit so viel Fahrkomfort und einfachem Handling haben wir nicht gerechnet.

Bei so einem Typen fürs schwere Gelände ist auch nicht mit ausgefeilten Fahrer-Assistenzsystemen für den Straßenbetrieb zu rechnen. Das sieht man schon an den Lenkradtasten: Da fehlt eine, nämlich die zur Einstellung des Bergab-Tempomaten. Dennoch gibt es eine automatisch einsetzende Bergab-Geschwindigkeit – als feste Hysterese leitet sie 5 km/h über der gesetzten Tempomat-Geschwindigkeit die Anpassbremsung ein. Das passt bei uns hervorragend: Zu 65 und 84 km/h Marschgeschwindigkeit steuern sich die Schwungspitzen mit plus 5 km/h zielgenau von selbst ein. Und das in normalen Gefällen bis sieben Prozent ohne die Betriebsbremsen bemühen zu müssen. Das ist durchaus bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Tatra nach wie vor für den schweren Kipper die gute alte Trommelbremse rundum bemüht. Und was für ein Unterschied zu den quarkweichen Trommelbremsen, die wir vor Jahresfrist in einem Scania 8×4 fahren durften: Im Tatra packen die Trommeln richtig zu, das Bremsgefühl im Vergleich zu Scheiben rundum ist ähnlich. Dennoch gehen wir unser Zehn-Prozent-Gefälle hinunter nach Eichstätt vorsichtig an: Zu heiße Trommeln sind hier nicht angeraten – nach 1,5 km bei zehn Prozent mit einer Stop-Stelle am Ende. Da sind ein kühler Kopf und kühle Betriebsbremsen von Vorteil. Rechtzeitig heruntergeschaltet, erreichen wir immerhin konstant 40 km/h Bergab-Geschwindigkeit bei relativ leisen 2.100/min, ohne auch nur einmal die Betriebsbremse zu bemühen. Die Anwohner danken für die geräuscharme Abfahrt – und das mit Trommelbremsen und ohne Retarder. Respekt!

Schwerer Allradkipper schluckt einfach mehr

Bei der Ergebnis-Tabelle kommt man freilich ins Staunen: Zehn Liter mehr über die Gesamtrunde als ein Standard-8×4 – das muss erklärt werden. Zum einen war unser Tatra mit erst gut 1.000 km alles andere als eingefahren. Zum anderen herrschten am Testtag widrigste Wetterbedingen. Bei Dauerregen und Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt erhöhen sich die Rollwiderstände gewaltig: Weder Achsgetriebe noch Naben, geschweige denn die Reifen werden auch nur annähernd betriebswarm. Von den 23 Prozent Mehrverbrauch gehen schätzungsweise die Hälfte auf das Konto des schlechten Wetters und des nicht eingelaufenen Antriebsstrangs. Betrachten wir nur die Landstraßenrunde bleiben nach Abzug von zehn, elf Prozent für die Umstände immer noch fünf bis sechs Prozent Mehrverbrauch. Den generiert der 8×8 allein schon durch die breiten 385er-Schlappen auf den beiden Vorderachsen und den aufwändigen Allradantrieb übers Verteilergetriebe. Da kommen viele Zahneingriffe zusammen, der Rollwiderstand des 8×8 ist einfach deutlich höher.

Dennoch schlägt sich der tschechische Geländeprofi erstaunlich gut. Traktionsmäßig sowieso, erst recht aber in Sachen Fahrkomfort und Handlichkeit. Dass der 8×8 mit diesem aufwändigen Antrieb realistische zehn Prozent Mehrverbrauch im Vergleich zu einem 8×4 produziert, dürfte für den Anwender schwerer Allradkipper zweitrangig sein. Der schätzt die anderen Qualitäten meist viel höher ein.

 

Robert Domina, bd-Nutzfahrzeug-Experte, Pietenfeld

Standpunkt: Robert Domina, bd-Nutzfahrzeug-Experte

„Schon als Jugendlicher fielen mir die Tatras bei einem Fuhrunternehmer im Nachbardorf auf. Es waren Dreiachser mit Allradantrieb; der Vierachser war zu jener Zeit hierzulande noch gar nicht erlaubt. Und sie sahen echt bullig aus: hoch aufragendend und mit jenem dicken Rohrrahmen unterm Aufbau, der von vorne gut zu sehen war. Was mich damals aber am meisten irritierte, waren die O-Beine dieser Tatras, wenn sie leer und geparkt dem Wochenbeginn harrten. Das Goggomobil unseres Feuerwehr-Hauptmanns wirkte optisch, ob seines positiven Radsturzes, ähnlich albern und verleitete uns junge Burschen mehr als einmal, es kurz mal um die Ecke zu tragen und zu verstecken. Beim Tatra wäre uns das ziemlich schwer gefallen. Der Tscheche war schon immer etwas schwerer, und er wird es auch bleiben. Bei unseren erlaubten 32 t Gesamtgewicht für die Straße bleibt da wirklich nicht viel Nutzlast übrig. Ein Blick nach Holland zeigt, dass man die Transport-Ökonomie des Vierachsers über höhere Gesamtgewichte durchaus optimieren kann: 43 t Gesamtgewicht sind dort für den Vierachser Standard, mit einer zusätzlichen fünften Achse sind sogar 50 t auf der Straße erlaubt. Damit sind um die 25 t Nutzlast kein Thema – eine Größenordnung, die wir heute mit dem 6×4-Sattel plus zweiachsigem Kipp-Trailer fahren. Mit deutlich größerem Aufwand und ähnlicher Belastung für die Straße. In Holland dürfte der Tatra 8×8 als Straßenkipper also deutlich mehr Anwender finden als hierzulande, zumal heimische Technik drin steckt. Ich frage mich wirklich, ob ich es noch erleben darf, dass höhere Gesamtgewichte und der Lang-Lkw bei uns endlich für mehr Transport-Effizienz sorgen.“