Testfahrt mit dem MAN 18.470 TGS 4×4 Hydrodrive
Das ist das, was sich Kipper-Betreiber wünschen: Eine effizient zu fahrende Zweiachs-Sattelzugmaschine mit viel Komfort und Sicherheit für den Fahrer. Und einer Extra-Portion Traktion, wenn’s drauf ankommt. Ein in jeder Beziehung heißer bd-Sommer-Test.
Wie cool ist das denn: Der bremst kurz an während der Schaltpause – yepp. Das hatten wir zwar schon mal bei anderen Herstellern, aber hier passt dieses Brake-Blending (MAN: Reblending) besonders gut ins Fahrkonzept. Ich war mir anfangs gar nicht sicher, ob hier tatsächlich ein kurzer Impuls der Betriebsbremse das Davonlaufen beim Runterschalten im Gefälle verhindert oder der Primär-Wasser-Retarder. Den hat dieser TGS 18.470 nämlich auch. Und die direkt vorne an der Kurbelwelle angreifende Wasser-Turbine greift beherzt zu – allerdings in ihrer Wirkung drehzahlabhängig und nicht geschwindigkeitsabhängig wie ein normaler Sekundär-Hydro-Retarder. Deshalb kann ein Primär-Wasser-Retarder vom Prinzip her schon gar kein Brake-Blending leisten: Er spräche zu diesem Zweck prinzipbedingt zu spät an und hätte im Moment der Schaltpause auch zu wenig Drehzahl. Also: astreines Brake-Blending – macht MAN übrigens bei allen schweren Trucks.
Heiß ist es heute: 35 °C zeigt die Wetterstation, 34 °C das Thermometer im digitalen Cluster des Armaturenbretts. Aber es hilft ja nichts, in der Schottergrube brummt das Geschäft. Vorm Beladen aber noch ein paar Traktionsübungen: leer und rückwärts die Rampe hoch. Der Boden ist lockerer Schotter, staubig, nicht sehr fest verdichtet. Zuerst mal nur mit der Sperre: no way. Die Hinterachse des TGS baut sofort Schlupf auf, es bildet sich ein kleiner Schotterkeil vor den Rädern. Ok, dann Hydrodrive zugschaltet. Die hydraulisch angetriebenen Radnabenmotoren der Vorderachse leisten ganze Arbeit: Ganz locker schiebt der TGS seine dreiachsige Rundmulde die Rampe hoch. Das war insofern einfach, als beim rückwärts in die Steigung Rangieren die Vorderachse beim Anfahren dynamisch belastet wird.
Und eine kurze Fahrt über die Waage zeigt uns auch, dass leer die Vorderachse mit 6.000 kg weit stärker trägt als die Hinterachse mit nur 4.000 kg. Will sagen: Besonders leer macht die hydraulisch angetriebene Vorderachse Sinn, weil sie in diesem Zustand mehr Antriebskraft übertragen kann als die Hinterachse.
Insgesamt wiegt der Zug mit dreiachsiger Meiller-Rundmulde genau 14.440 kg. Darin eingepreist ist schon der Fahrer, die große TM-Kabine mit Liege und Hochdach, die Meiller-Rollplane, Alu-Bedienstand, Alu-Leiter und ein per Gasdruck-Feder unterstützter Unterfahrschutz. Macht 25.500 kg Nutzlast. Das ist für so eine blendend ausgestattete Kippsattel-Zugmaschine ein ziemlich guter Wert. Das Leergewicht der Zugmaschine liegt dabei übrigens bei 8.175 kg. Eine 6×4- oder 4×4-Zugmaschine mit konventionell angetriebener Vorderachse ist definitiv schwerer. Beladen mit 25,5 t bestem 16/32er-Jura-Schotter probieren wir das Anfahren an der Rampe nochmals. Und es zeigt sich fast das gleiche Bild: Die Antriebsachse dreht durch, trotz Quersperre. Mit aktiviertem Hydrodrive kein Problem. Zwar sieht man jetzt ein paar Steinchen an der Vorderachse fliegen. Aber je mehr die Fuhre ins Rollen kommt, geht der Schlupf Richtung Null. Und was auch auffällt: Die Hydraulik des gesamten Vorderradantriebs ist praktisch nicht zu hören. Kein Singen, kein Jaulen, kein Mahlen – das ist auch geräuschtechnisch erste Sahne.
Die Reihenfolge, in der die Traktionshilfen Differenzialsperre und Hydrodrive zuschaltbar sind, war früher ja durch die Logik des Drehschalters festgelegt. Erst Sperre, dann Hydrodrive dazu. Mit der neuen Fahrzeuggeneration ist die Reihenfolge frei. Die Vorderachse ist jetzt auch ohne Sperre zuschaltbar. Das ist vorteilhaft auf schwerem, tiefem Geläuf, weil ohne gesperrte Hinterachse die Fuhre viel besser der Lenkung folgt und – im Extremfall – nicht mehr einfach geradeaus in den Sumpf stürmt.
Von unten aus der Grubenperspektive entpuppt sich die Antriebshydraulik des MAN-Hydrodrive als wahres Kunstwerk der Leitungsverlegung. Die Pumpe am Getriebe-Ausgang stammt offenbar von Linde, wie das eingeprägte Firmenlogo verrät. Pro Rad kann sie bis zu 1.450 Nm Antriebsmoment aufbauen. Zum Vergleich: Zur Versorgung der Kipphydraulik, ebenfalls getriebeseitig abgezapft, sind nur 450 Nm nötig. Das sind also ordentliche Drücke, die die Hydrodrive-Komponenten verkraften müssen. Schon lange Geschichte sind ja die Probleme, die MAN mit den ersten Hydrodrive-Versionen hatte: übermäßiger Verschleiß an den Antriebsschläuchen, hervorgerufen offenbar durch Torsion, also Verdrehen des Schlauchs in seiner Längsrichtung. Das gibt es alles nicht mehr, denn die Verlegung des Hauptschlauchs hat sich grundsätzlich geändert: Er wird jetzt beim Einlenken nicht mehr auf Torsion beansprucht. Stattdessen haben ihn die Techniker in einem hübschen Bogen so verlegt, dass er praktisch nur noch auf Biegung beansprucht wird. Von oben ist das bei gekippter Kabine sogar gut zu sehen. Kurzum: Der Hydrodrive hat nun eine Reife erlangt, die andere hier und da erst noch entwickeln müssen – auch und vor allem hinsichtlich Geräuschentwicklung.
Obwohl an vier Punkten luftgefedert, dringen kurzfrequentige Stöße auf Schlechtweg und bei höherer Geschwindigkeit gut spürbar bis in den Sitz. Diese relativ harte Auslegung resultiert auch aus der Zweiblatt-Parabelfeder, die die Vorderachse führt. Das ist zwar manchmal etwas rumpelig auf schlechten Straßenbelägen, ermöglicht aber andererseits ein sehr gutes Gefühl für den gerade herrschenden Untergrund. In flott gefahrenen Kurven neigt sich die Kabine zudem um kein Jota und vermittelt so Stabilität und Wanksicherheit. Anders als bei den Fernverkehrs-Zugmaschinen, nimmt sich der 12,4 l große D26 im TGS geräuschmäßig nicht allzu sehr zurück. Die Messwerte bestätigen, was man auch subjektiv wahrnimmt: Er grummelt bei Marschgeschwindigkeit um 85 km/h und 1.200 Umdrehungen ordentlich in die Kabine und meldet: Ich bin da und signalisiere genau, was ich gerade an Last investieren muss. Auch hier gilt: Das ist niemals aufdringlich laut, aber man weiß als Fahrer, was im Keller gerade los ist.
Bei der Ausstattung wurde hier nicht gegeizt: Dieser TGS hat so ziemlich alles, was die Schicht erleichtert. Die große TM-Kabine mit vollwertiger Liege und Hochdach mit 197 cm Stehhöhe neben dem Motortunnel bietet viel Lebensraum auch mal über Nacht. Trotz der Höhe ist die Kabine tief aufgesetzt, was zwar stets mit einer etwas prominenteren Motorkiste (28 cm Höhe) verbunden ist, gleichzeitig aber auch für einen bequem niedrigen Einstieg mit nur 143 cm über Fahrbahnhöhe sorgt. Dazu kommen serienmäßig LED-Fahr- und Rücklicht, Spiegel-Ersatzsystem (Mirror Cams) und das volle Programm an Fahrer-Assistenzsystemen. Letztere Annehmlichkeiten bündelt MAN unter dem Begriff Cruise Assist und meint damit die Unterstützung in Abstands- und Notbrems-Situationen – bis zum Stillstand – per Voraus-Radar. Und damit verbunden auch den Stau-Assistenten mit automatischem Wiederanfahren bei Stop & Go. Auch dazugehörig: Die Lenk-Assistenz-Funktionen mit Spurhalte-Warner, Spur-Rückführ-Assistent und radarbasiertem Toter-Winkel-Assistent links und rechts – mit optischer und akustischer Warn-Kaskade bei beabsichtigtem Spurwechsel oder Abbiegen. Insbesondere der Spurhalte-Assistent verdient hier besondere Erwähnung, weil er durch sanften und sehr angepassten Lenkeingriff zu überzeugen weiß. Da fühlt man sich tatsächlich gut aufgehoben und sicher vor unbeabsichtigten Schlenkern durch Ablenkung.
Durch Cruise Assist noch nicht abgedeckt ist, was der interessierte Fahrer unter einem GPS-Tempomat versteht. Bei MAN heißt der vorausschauende Tempomat ja Efficient Cruise. Und genau dafür sorgt er: vorausschauendes, sparsames Gleiten, auch bei dichterem Verkehr. Über- und Unterschwinger zur Setzgeschwindigkeit lassen sich zwar nur in fest abgelegten Paarungen wählen, jedoch sind die ziemlich sinnvoll und praxisnah gewählt. Wir cruisen entsprechend unseren Testregeln ja gerne mit 84 km/h (nach GPS-Messung) vor uns hin, und da ist die Paarung + 6/–5 km/h für Über- und Unterschwinger gerade recht. Das gibt 90er-Spitzen bergab und noch verkehrs-verträgliches Kuppenzuckeln über die hügeligen Abschnitte der A9. Aber auch +5/–3 km/h wäre eine Alternative für moderatere Spitzen und etwas flotter über die Kuppen.
Fakt ist: Efficient-Cruise funktioniert sehr zuverlässig und kommt vor allem ohne als Dipp getarnte Überläufer aus, die dann in kurzzeitigen 92er- bis 93er-Spitzen münden. Das hält die Fuhre im Hügelland zwar schnell und ist auch extrem sparsam. Mir ist das aber in der Regel etwas zu flott.
Viel besser gefällt mir da, dass MAN auch bei der Kipper-Sattelzugmaschine die Segel-Funktion Eco-Roll zum dynamischen Segeln ausweitet. Die auch unter Pulse & Glide bekannte Tempomat-Steuerung nutzt ein Sägezahn-Geschwindigkeitsprofil, das im Tempomatbetrieb und in der Ebene ein sanftes, kaum spürbares Angasen auf etwa plus 3 km/h einsteuert, um dann in einer anschließenden Segelphase in den Bereich von minus 3 km/h zur Setzgeschwindigkeit frei zu rollen. Dass das richtig Sprit spart, wissen wir. Und ebenso, dass das dynamische Segeln keinerlei störenden Einfluss auf den umgebenden Verkehr und insbesondere auf den direkt folgenden Hintermann hat.
Anderes Thema: Wenn jemand seine Züge mit Trommelbremsen ausrüstet, wird das seinen Grund haben. Unser 18.470 TGS war jedenfalls vorn mit Scheibenbremsen, hinten aber mit Trommelbremsen ausgestattet, der Kippsattel im Übrigen auch. Fragt man nach den Gründen, wird zumindest im Baugeschäft schnell klar, dass die Trommeln bei bestimmten Einsätzen weit weniger gegen Fremdkörper empfindlich sind als Scheiben. Dazu kommt, dass viele Anwender ihre Bremsen immer noch gerne selber warten, in der eigenen Werkstatt.
Pro & Kontra: MAN 18.470 TGS 4x4 Hydrodrive
Auch bei Verschleiß und Überhitzungs-Sicherheit können wir getrost Entwarnung geben: Die Kombi aus vorne Scheiben, hinten Trommeln samt Auflieger, plus Retarder ist eine gute Wahl. Beim TGS verrichtet ja ein Pritarder genannter Wasser-Retarder in Primär-Konfiguration, also direkt über die Kurbelwelle des Motors angesteuert, sein Bremswerk. Und das macht er gut. Unter Tempomat und auf den hügeligen Streckenabschnitten hält er bergab höchst genau die Schwungspitzen ein. Der Computer sucht dafür über eine entsprechende Rückschaltung den Drehzahlbereich um 1.600 bis 1.700 Touren und steuert dann ausgesprochen sanft den Pritarder hinzu. Das ist schon sehr geschmeidig, freilich mit einer Anhebung der Drehzahl und damit einhergehend auch mit etwas mehr Geräusch verbunden.
Sind auf der Landstraße steilere Abfahrten zu meistern, wird der geübte MAN-Fahrer dagegen seinen Bremsomat bemühen: Ein Tritt auf die Bremse aktiviert ja ohnehin erst mal den vorgeschalteten Pritarder, bei stärkerem Druck schaltet sich die Betriebsbremse zu. Geht man jetzt vom Bremspedal, bleibt die Bergab-Geschwindigkeit im Speicher und der TGS versucht, diese Bergab-Speed konstant einzuregeln. Wie gesagt: Das klappt hervorragend, weil auch beim Runterschalten das Brake-Blending in Aktion tritt und der Zug in keiner Situation ungewollt das Weglaufen anfängt. Unseren Zehnprozenter Spindeltal mit konstant 40 km/h hinunter ist easy: vorm Ortsschild ein, zwei Mal beherzt in die Eisen. Danach stelle ich per Bremspedal auf knapp 2.000 Umdrehungen ein. Und siehe: Die Fuhre hält 39 km/h im Siebten, konstant bei 1.900/min. Das zwar nicht gerade leise, aber sehr gleichmäßig und sicher, mit kühler Scheibenbremse vorn und nur an Motorbremse und Pritarder hängend.
Fazit: Mit 470 PS aus dem D26 ist der TGS als Kippsattel-Zugmaschine bestens motorisiert, auch die Ausstattung mit Trommelbremsen ist da kein Thema, sofern man sich den Pritarder mitbestellt. Das Spiegel-Ersatzsystem ist definitiv eine Empfehlung, Efficient-Cruise und die anderen Assistenz-Systeme sowieso. Die Etappen-Verbräuche und -Schnitte haben wir natürlich grob mitgemessen, da dieser TGS aber von MAN für Messungen nicht vorgesehen war, gibt es dazu keine weitergehenden Aussagen. Nur so viel: Der 470er TGS ist in diesem Einsatz nicht nur schnell, er ist auch sparsam. Ein heißer Ritt an einem heißen Tag.