Volvo FH 460 4×2 Bausattel mit Fliegl Stonemaster
Der Volvo Globetrotter FH reüssiert 25 Jahre nach seinem ersten Erscheinen gerne auch als Kipp-Sattelzugmaschine. Mit Verbrauchswerten, die aufhorchen lassen und neuester Technik, wie dem aktiven Lenk-Assistent und Crawler-Modul. Am Haken: Fliegls neuer, superleichter Stone-Master mit Drive-On-Achslastverteilung.
Bei diesem Volvo FH 460 mit roter Kabine und durchaus gelungenem 25-Jahre-Schriftzug muss man farblich schon aufpassen: Orange beißt sich nämlich gerne mit rot. Wie auch immer: Volvo feiert 25 Jahre FH. 1993 kam die neue Form mit der aerodynamisch stark geneigten Frontscheibe auf den Markt und löste die kantige F-Baureihe ab. Den Jubilar schmücken nun allenthalben orange Ziernähte, so manche Applikation im Innenraum leuchtet in orange, am offensichtlichsten strahlen die Haltegriffe des Einstiegs im signalfarbenem Leder. Wie die nach ein paar Jahren aussehen, mag man sich eher nicht vorstellen. Welch‘ gruseliger Fehlgriff in den Designtopf. Aber gut: Ist ja auch Geschmacksache.
Halten wir uns mehr an die messbare Performance. Hier zeigt sich dieser FH 460 in seiner Form als Kippsattel-Zugmaschine durchaus rekordverdächtig, wenn nicht sogar epochal. Das fängt schon beim Gewicht an: Nur 7,6 t wiegt die Globetrotter-Zugmaschine – und das trotz überaus kompletter und dem Einsatz angepasster Ausrüstung: lange Kabine mit Einbett-Lösung plus hintere Stauschränke plus dreigeteilte Stahl-Stoßstange, Motorschutzplatte und Extra-Luftfilter, die das Baustellenpaket FH bilden. Dazu gibt’s die Standklimaanlage I-Park Cool und das Doppelplus-Fahrerkomfort-Paket, unter anderem mit steil einstellbarem Lederlenkrad und Armlehnen, selbstredend hier mit orangenen Ziernähten.
Pro & Kontra: Volvo FH 460 4x2 Bausattel
Die wichtigste Zusatzausrüstung verbirgt sich allerdings tief unten im Antriebsstrang. Denn erst das Crawler-Modul mit seinen extrem hoch übersetzten Anfahr- und Rangiergängen (vorwärts bis 1:32, rückwärts bis 1:37) lässt zu, was hier realisiert wurde. Nämlich ein Straßenkipper mit autobahntauglich langer Übersetzung, der gleichzeitig über enorme Anfahr- und Rangierqualitäten verfügt. Wer Übersetzungen Bereich 1:30 zur Verfügung hat, kann die Kupplung einfach so zuschnappen lassen, ohne dass hier auch nur ansatzweise Verschleiß entstehen würde. Volvo nennt das Power Launch, Anfahren mit schlagartig einrückender Kupplung in Verbindung mit dem Performance-Mode. Aber auch das Gegenteil ist möglich: Sanftes Anfahren in der Steigung bei schwersten Bedingungen – all das erklärt die Betriebsanleitung, deren Lektüre sich an dieser Stelle unbedingt lohnt.
Wie haben hier also so etwas wie die berühmte eierlegende Wollmilchsau: nämlich einen Straßenkipper mit durchaus brauchbaren Geländeeigenschaften bei gleichzeitig extrem geringem Verbrauch auf der Straße, insbesondere bei Autobahngeschwindigkeiten. Und damit ist dieser FH ein echter Trendsetter. Denn genau diese Eigenschaften sind zunehmend in der Baustoff-transportierenden Wirtschaft gefragt. Die Zu- und Ablaufwege werden immer länger, der Wegebau vor Ort immer besser. Genau hier kann Volvo dank drehmomentstarker Motoren, direkt und lang übersetzter Antriebsstränge und letzlich auch wegen der Verfügbarkeit des Crawler-Moduls punkten.
Fast wie Segeln auf der Autobahn
Zum ersten Mal reißt dieser Volvo denn auch die 30-l-Marke über die Kipper-Gesamtrunde mit 48 Prozent Landstraßen- und 52 Prozent Autobahnanteil. Und das mit erst 2.800 km auf dem Tacho, also nicht wirklich eingefahren. Gleichwohl rollt der Jubiläums-FH ausgezeichnet. Mit Hysteresen von +5/-5 km/h auf der Landstraße und +6/-6 km/h für die Autobahn segeln wir beinahe mehr als wir unter Last oder im Schubbetrieb fahren.
Zeit genug, um dem neuen, aktiv eingreifenden Lenk-Assistenten auf den Zahn zu fühlen. Im Spiegel kann ich es überprüfen: Überfahre ich die durchgezogene Fahrbahnbegrenzung rechts, greift die Lenkung ein und korrigiert mich mit sanftem Druck wieder Richtung Fahrbahnmitte. Bei der unterbrochenen Mittellinie klappt das nicht immer ganz so perfekt, gerade auf der Autobahn würde ich mir hier einen deutlicheren und vor allem früheren Eingriff wünschen, der mich wieder auf Linie bringt. Das Ganze ist natürlich deaktiviert, wenn der Blinker gesetzt ist. Und auch der Grad der Kursabweichung ist mit entscheidend, wie vehement der Computer den Kurs korrigiert.
Driftet man nur langsam gen Fahrbahnmarkierung, fällt der korrigierende Lenkeingriff entsprechend sanft aus. Heftige Kursschwankungen beantwortet das System mit beinahe ebenso heftigen Korrekturen, die bisweilen sogar als Überreaktion interpretiert werden könnten. Nämlich dann, wenn die Lenkkorrektur übers Ziel (die Fahrbahnmitte) hinaus schießt und abermals in die andere Richtung korrigiert wird, was schließlich zu einer Art Wedeln führt.
Nach einigen Kilometern mit diesem Gespann drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass dieses Wedeln auch vom Auflieger herrühren könnte. Wir ziehen nämlich den neuen Stonemaster von Fliegl aus Triptis, der ebenfalls dem Leichtbau huldigt und in dieser gut ausgestatteten Variante mit Rollplane, Einbein-Stütze und Minimal-Arbeisplattform nur 5,7 t Leergewicht auf die Waage bringt. Auffallend ist nicht nur die hohe Nutzlast dieser Stahl-Rundmulde, sondern auch eine gewisse Eigenlenk-Dynamik, die das Fliegl-typisch, ausgefuchst gewichtsminimierte Chassis mitbringt.
Über der Grube wird klar: Am Hinterbau kann es nicht liegen, dass dieser Trailer so einen starken Einfluss auf das Lenkverhalten nimmt: Zwar sind die Längsträger gelocht wie ein Schweizer Käse, die Ränder der Handteller-großen Löcher sind jedoch gebördelt, was wiederum eine enorme Steifigkeit erzeugt. Auch die als geschweißte Kastenprofile ausgeführten Querträger stehen für Stabilität im Gefüge, genauso wie die Fliegl-typische, gerundete Sattelauflage vorne, die aerodynamisch günstig sein mag, vor allem aber ebenfalls einen sehr verwindungssteifen Auflagepunkt zur Zugmaschine hin garantiert.
Unser Kipp-Experte Josef Ernstberger bringt uns auf die richtige Spur, denn „dazwischen, hier, zwischen Achsaggregat und Kupplungskopf, da spielt die Musik“. In der Tat gibt es im Übergang von Achskasten zur Frontpartie keinerlei Querverstrebungen mehr. Hier sei, so Ernstberger, das Chassis relativ weich, was auch so gewollt sei, um Verspannungen durch Torsion nachzugeben und dadurch Beschädigungen wie Risse im Chassis zu vermeiden. Alles klar. Für diese Theorie spricht auch der glatte Unterboden der Kippwanne, die ohne jegliche Längs-Stringer auskommt und einfach platt auf den Gummipads des Chassis aufliegt. Lediglich eine etwa 40 cm breite Nase im Frontbereich der Kippwanne ragt mehr oder weniger stabilisierend zwischen die Längsträger des Chassis. Wohl eher weniger. Denn würde die Nase hier kraftschlüssig ins Chassis gleiten, müssten Kratzspuren den Kontakt zum Rahmen hin markieren. Doch der Lack ist hier makellos – also ist auch hier offensichtlich ein gewisser Spielraum gewollt. Mit dem Nachteil, dass der Aufliger spürbare Eigenlenkeffekte in die Zugmaschine einleitet. Zu Anfang ist das etwas irritierend, am Ende des Tages hat man sich aber fast schon an das Eigenleben des Aufliegers gewöhnt.
Drive-On nutzt einfach die Hebelgesetze
Und noch eine Besonderheit zeichnet diese Fliegl-Rundmulde aus: Zum ersten Mal ist hier das sogenannte Drive-On-System verbaut. Für Fliegl ist Drive-On erklärtermaßen die Antwort auf traktionsfördernde Maßnahmen, wie sie die Konkurrenz etwa in Form einer hydraulisch angetriebenen Trailer-Achse à la SAF-Trac erst kürzlich einführte. Drive-On erscheint im Vergleich zu anderen Systemen nachgerade simpel. Kurz gesagt geht es darum, mit einer Versteifung der letzten Trailer-Achse zum Chassis plus Entlastung der ersten und zweiten Trailer-Achse eine Gewichtsverlagerung auf die Antriebsachse der Zugmaschine zu erzielen. Was sich hier anhört wie bei einer Patentanmeldung ist tatsächlich eine im Grunde sehr clevere Idee, die ganz im Sinne einfacher Ingenieurskunst die Hebelgesetze zur Anwendung bringt. Bei Container-Fahrgestellen kennt man diesen Trick auch, nur dass man sich hier mit dem Entlasten von Trailer-Achsen begnügt – was den gleichen Effekt hat, nur nicht ganz so radikal. Und mit einem nicht zu vernachlässigenden Stabilisierungs-Effekt beim Aufkippen, ähnlich der automatischen Kippabsenkung über die Luftfederbälge.
Bei Drive-On bedeutet das Aktivieren der Versteifung laut Messung von Fliegl eine Verlagerung von 6,8 t vom Auflieger in Richtung Zugmaschine. Für die Antriebsachse bliebe dann ein Plus von 4,5 t an zusätzlichem Aufstandsdruck. Dies alles bei voll beladenem Zug mit 40 t Gesamtgewicht, versteht sich. Damit einher ginge also nicht nur eine ziemliche Beanspruchung der letzten Trailer-Achse, sondern auch eine kurzzeitige Überlastung der Zugmaschine-Achsen – bei durchaus drastisch erhöhter Traktion. Da die meisten Antriebsachsen bei Kipp-Sattelzugmaschinen technisch auf 13t ausgelegt sind, wären die 1,5 t zusätzliche Last wohl kein Thema.
Nun haben aber Kippsattel – weniger voll beladen als vielmehr leer – häufiger ein Traktionsproblem, etwa um eine steile Baustellenrampe hoch zu kommen. Im Leerzustand sieht die Sache etwas anderes aus. Wir haben das mal durchgewogen und kommen bei aktiviertem Drive-On auf eine Mehrbelastung der SZM-Antriebsachse von maximal 420 kg. „Auch das kann helfen, vom Fleck zu kommen“, meint Josef Ernstberger, das sei gar nicht mal so wenig. Da vertrauen wir auf den Praktiker mit 30 Jahren Sattelzug-Erfahrung im Schotterbruch.
Ein gewisses Manko bei der Bedienung von Drive-On ist derzeit noch, dass der Fahrer aussteigen und mit einem Drehschalter am Luftfederungs-Bedienpanel Drive-On aktivieren muss. Ein metallisches Klong signalisiert zwar, dass die beiden Stempel über den Druckluft-Stellzylinder an die Unterseite des Obergurts gerammt wurden. Senkrecht eingerastet sind sie aber noch nicht. Die zunächst schräg anliegenden Stempel kommen erst in die Senkrechte, wenn man über den Luftfederungshebel das Chassis etwas anhebt. Dann auf die Stempel absenken, fertig. Jetzt steht die ganze Fuhre mehr oder weniger auf der letzten Achse, starr und ohne Elastizität, und das heißt: auch beim KIppen stabil.
Auf Anfrage ließ Fliegl verlauten, dass an einer Fernbedienung für Drive-On vom Cockpit aus gearbeitet werde. Das wird sicher nicht ganz so einfach, weil hier in die Regelkreise der Auflieger-Luftfederung eingegriffen werden muss. Als Preis für Drive-On sind 3.000 Euro angedacht: Das wäre wiederum recht preiswert.