Volvo FMX 460 4×4 und FL 280 4×4 im Vergleich
Äußerlich sind sie sich sehr ähnlich, beide sind leichte Kipper mit permanentem Allradantrieb im Kommunal-Gewand. Doch unterm Blech bieten der Volvo FMX 460 und der FL 280 recht unterschiedliche Antriebstechniken für diffizile Aufgaben.
Das Schwierigste, was ein Allroundkipper zum Beispiel in der Straßenpflege können muss, ist langsam fahren. Sehr langsam. Langsam fahren, ohne allzu viel Verschleiß zu erzeugen, ist übrigens viel schwerer als schnell zu fahren. Schnell fahren kann jeder. Die Beherrschung der Langsamkeit ist dagegen eine hohe Kunst. Auch deswegen, weil hier schon mal brutale Kräfte walten. Der Motor ist ja nicht nur für den Vortrieb zuständig. Er muss auch mannigfaltige Zusatzgeräte antreiben: Vorne, in der Mitte auf der Ladefläche und achtern können Schneefräse, Räumschild oder Waschbürsten, in der Mitte Wassertanks samt Pumpe und Streusalzbehälter sowie am Heck diverse Streuer montiert sein, um nur die wichtigsten Arbeitsgeräte zu nennen. Und auch sie wollen bewegt werden und benötigen entsprechend Antriebsenergie.
In der Regel liefert eine genau spezifizierte Hydraulikanlage den geforderten Hydraulikdruck oder – je nach Einsatzart – weniger Druck und dafür hohe Durchlaufmengen. All das gilt es bei Allradkippern mit Kommunal-Ausprägung zu berücksichtigen. Die hier von Volvo für Probefahrten bereit gestellten Allradkipper bieten all dieses, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung, was den Vergleich der Systeme besonders interessant macht.
Pro & Kontra: Volvo FMX 460 4x4 und FL 280 4x4
Da ist einmal der FMX 460, der nach Volvo-Nomenklatur eher für die schweren Einsätze in Frage kommt. Ihm wurde zusätzlich zur kurzen Kippbrücke einen Kran aufgepflanzt, der im Höchstfall über 5 t heben kann. Im Höchstfall heißt hier: bei minimaler Auslage, nämlich direkt neben dem Fahrzeug und innerhalb der Stützbeine. Aber wie das so ist mit den Hebelgesetzen: Fährt der Kranausleger in die Weite, reduziert sich das Hubpotenzial in direkter Abhängigkeit des Drehkreisradius. Am Ende, nämlich bei knapp 10 m Auslage, bleibt aber immerhin noch 1 t Hublast. In der Praxis reicht das locker für die Betonringe einer Zisterne oder Rohrstücke im Straßengraben. So ein Kran ist in der Baufirma oder im Baustoffhandel also enorm praktisch. Nachteil: Er wiegt samt Standsicherung schwer und erfordert nicht nur eine belastbare Hydraulikanlage, sondern auch ein stabiles Chassis, einen potenten, drehmomentstarken Motor und schließlich ein Getriebe, das all die Power in vernünftige Bahnen lenkt. Der Motor ist bei diesem FMX ein alter Bekannter, der auch die meisten Volvo-Fernverkehrszüge antreibt. Er heißt D13, ist ein 12,8 l großer Sechszylinder, der in der 460-PS-Version sehr kräftige 2.300 Nm auf die Kurbelwelle stemmt. Die kurze, fast schon gedrungene Bauform bestätigt schon optisch, was wir hier haben: Ein überaus kräftiges Arbeitsgerät mit dem Herzen eines schweren Kippers, der Traktion eines Treckers und der Vielseitigkeit eines Unimogs.
Daneben, sozusagen als kleinen Bruder sehen wir den FL 280. Normalerweise beschreibt diese Typenbezeichnung einen 18-t-Verteiler-Truck für den städtischen und ländlichen Lieferverkehr. Mit Trockenfracht-Koffer und Hebebühne. Der Volvo-Baukasten macht aus diesem biederen Grundmodell ein Spezialwerkzeug in Kommunal-Orange. Schwerer Rahmen (übrigens mit den gleichen Maßen wie beim FMX), Verteiler-Getriebe mit Gelände-Untersetzung 1:2 und Wandler-Getriebe von Allison. Damit ist die Basis für ein Arbeitsgerät gesetzt. Fehlt nur noch der Motor. Hier werkelt der vergleichsweise zierliche D8 mit 7,7 l Hubraum in seiner stärksten Ausprägung mit 280 PS, respektive 1.050 Nm. Diese Eckdaten lassen es schon vermuten: Der Kleine lebt von der Drehzahl. Bis 2.500 Umdrehungen lässt sich der Sechszylinder hochjubeln, die maximale Motorbremskraft wird hier sogar bei 2.800 Touren gemessen, immerhin 170 kW oder 230 PS verzögern dann den 16-Tonner. Kein 18-Tonner also, wie für zwei Achsen üblich. Das liegt an der angetriebenen Vorderachse, die Volvo nicht wie üblich mit 7,5 t Tragkraft darstellen kann, sondern eben nur mit 5,6 t. Da hat der Baukasten auch mal seine Grenzen. Dennoch: Mit 7,1 t reiner Nutzlast bietet dieser FL rund 750 kg mehr Tragfähigkeit als der FMX. Was ja auch kein Wunder ist, schließlich muss der ja noch einen Kran mitschleppen. Die reinen Fahrgestell-Gewichte und -Tragfähigkeiten ergeben: Beide dürfen gut 10.100 kg Gewicht tragen – wie man das auf Arbeitsgeräte und/oder Nutzlast verteilt, entscheidet letztlich also über die tatsächlich verbleibende Nutzlast. Aber: Der FMX ist mit seinem Kran, dem großen Motor und dem zusätzlichen Crawler-Modul schwer. Und der FL leidet ein wenig unter seiner nicht allzu tragfähigen Vorderachse.
Ein Fest der Drehzahlen ohne Geräuschkulisse
Von an Übergewicht leidenden Patienten ist im praktischen Fahrbetrieb freilich nichts zu spüren. Beide sind gleichermaßen kurz übersetzt, was sich in hohen Marschdrehzahlen bemerkbar macht. 1.600 Umdrehungen bei 80 km/h Marschgeschwindigkeit sind ein Fest der Drehzahlen, gute 1.200 sind es jeweils bei 65 km/h Landstraßen-Speed im höchsten Gang. Nicht dass einem dabei die Ohren klingeln – dazu sind beide Kabinen zu gut nach unten schallisoliert. Aber gewöhnungsbedürftig sind dieses Drehzahlen schon – beim FMX noch mehr als beim FL, der ja hubraumbedingt an sich schon über ein breiteres Drehzahlband arbeitet.
Die interessantere Frage ist, wie die beiden das mit den langsamen Arbeitsgeschwindigkeiten machen. Und warum da nicht sämtliche Kupplungen verbrennen. Antwort für den FL: Er hat keine. Jedenfalls keine Trockenkupplung. Er nutzt die Segnungen der verschleißlos arbeitenden Wandler-Kupplung im Ölbad. Sie ist wie bei allen Wandler-Getrieben Teil der sechsstufigen Automatik von Allison, genauso wie ein integrierter Retarder mit 1.760 Nm Bremsmoment. Weiterer Vorteil der Wandler-Kupplung: ihre Drehmoment-Überhöhung bei offener Wandler-Überbrückung im ersten Gang. Automatik-Fahrer kennen das: Da kannst du deinen 3-t-Bootsanhänger ganz feinfühlig und kontrolliert den steilen Slip hinauf schleichen lassen, ohne dass der Yachthafen nach abgerauchter Kupplung richt. So geht das auch im Gelände mit dem FL: keine Steigung zu steil, kein Boden zu tief. Solange der Laster noch auf den Reifen steht und nicht bis auf die Achsen abgesoffen ist, gibt es Vortrieb. Und zwar kontrolliert und verschleißlos.
Und das Langsamfahren? Hier täuscht die rein rechnerische Angabe von 1,0 m/s bei 500 Touren Leerlaufdrehzahl. Es geht noch viel langsamer, Stichwort: Kriechen. Also jenes Automatik-typische vorandrängen, wenn die motorseitige Turbine übers Ölbad stetig Druck auf die antriebsseitige ausübt und wir die Fuhre nur mit dem Bremspedal zum Anhalten zwingen können. Und wie gut, dass das Allison-Getriebe in der ersten Anfahrstufe keine Wandler-Überbrückung hat. Die sorgt in den höheren Fahrstufen dafür, dass die Motorkraft direkt 1:1 durchs Getriebe geleitet und nicht permanent Öl im Wandler verquirlt wird. In der ersten Stufe will man aber genau das: Die weiche Verbindung zwischen Motor und Rädern, die sich so fein dosieren lässt. Das klappt hier bestens und verleiht dem FL ungeahnte Handling-Eigenschaften, wenn es um Langsamkeit und feinste Beherrschbarkeit für den Gasfuß geht.
Fürs Fahren in Zeitlupe sorgt das Crawler-Modul
Ganz anders ist der FMX ausgelegt – mit den gleichen Effekten. Hier wollen das für die Fahrzeuggröße enorme Motor-Drehmoment und die Schonung der Trockenkupplung beherrscht sein. Das funktioniert bei den schweren Volvos mit dem Crawler-Modul aus dem Getriebe-Baukasten, in dem, nebenbei bemerkt, auch noch die Doppelkupplung bereit liegt – aber das ist ein anderes Thema. Normalerweise übersetzt der kleinste (langsamste) Gang bei den Volvos im Bereich von 1:19, bei den Overdrive-Getrieben liegt das Verhältnis bei ungefähr 1:17. Das reicht für normale Rangiervorgänge vollkommen aus – will sagen: Man ist damit langsam genug, bei nicht schleifender Kupplung. Sind Fahrvorgänge im Zeitlupen-Tempo gefragt, bieten die Schweden ihr Crawler-Modul an. Der mit nur 11 cm Länge sehr kompakt bauende Zahnradsatz lässt sich vergleichsweise einfach zwischen Hauptgetriebe und Kupplungsglocke einbauen und erhöht die maximale Spreizung im Vorwärtsgang auf 1:32, im Rückwärtsgang gar auf 1:37. Und das ist nun wirklich langsam. Bei unserem FMX sind damit 0,19 m/s im kleinsten Rückwärtsgang und 0,23 m/s im kleinsten Vorwärtsgang möglich (bei 500/min Leerlaufdrehzahl). Und das bei vollständig geschlossener Kupplung und ohne Gefahr, sie zu verbrennen.
Hier schon eingerechnet ist übrigens die auf den ersten Blick seltsam anmutende Übersetzung des Verteiler-Getriebes. Seltsam deshalb, weil das Verteilergetriebe, das die Antriebskraft auf Vorder- und Hinterachse verteilt, normalerweise nochmals ins Langsame übersetzt, bei diesem FMX aber ins Schnelle mit 0,72:1. Der Grund liegt vermutlich in den brachialen Drehmomenten, die dieser extrem hoch übersetzte Antriebsstrang ohnehin schon verkraften muss. Hier auf Nummer sicher zu gehen, ist nicht nur richtig, sondern sorgt gleichzeitig für ein sehr klein bauendes Verteilergetriebe und, damit einhergehend, für eine abermals gesteigerte Bodenfreiheit in der Fahrzeugmitte.
Zwei völlig unterschiedliche Slow-Motion-Philosophien also in diesen Antrieben. Beim FMX eher für die Heavy-Duty-Einsätze mit Kran-Möglichkeit, der FL 280 ist eher der wendige Allroundkipper mit guten Anlagen für Aufgaben im Winterdienst und der Straßenpflege. Beide lassen sich fast spielerisch auch im schweren Gelände bewegen, sogar mit einem gewissen Komfort bei den Sitzqualitäten und beim Fahrerplatz.
Die Verbräuche konnten wir leider nicht messen. Sie liegen aber sicher deutlich über den Standard-Werten für Motoren dieser Leistungsklasse. Kein Wunder, bei der eher drehzahlorientierten Gesamtübersetzung und Bedarf an Zusatzleistung für Allradantrieb und Hydraulik. Da darf man gespannt sein, wie solche Fahrzeuge in Zukunft elektrifiziert werden. Mit Batterien wird das Ganze noch schwerer, da hilft wohl nur die Brennstoffzelle und Wasserstoff als Energiespeicher.