Volvo Heavy-Duty-Elektrotrucks
Unter dem Label Electric präsentiert Volvo seine ersten FH und FM mit Elektro-Antrieb – auch für den Bau. Wir konnten ein paar Runden mit einem Sattel und einem 8×4-Tridem-Kipper drehen.
Es war noch vor der Pandemie, als Volvo die elektrifizierten Baureihen FE und FL der leichten Trucks vorstellte. Damals fuhren die Kipper, Absetzer und Abroller auf eigner Achse ins Auditorium der Event-Halle – nahezu geräuschlos und vor allem ohne die Atemluft mit Abgasen zu schwängern. Volvo hatte reagiert. Zahlreiche Anfragen aus der Kundschaft forderten die emissionsfreie Baustellen-Fahrzeuge für den Einsatz in Innenstadt-Zonen. Die Mission war vergleichsweise einfach zu erfüllen: Reichweiten zwischen 120 und 200 km sollten hier genügen, die Nutzlasten waren unproblematisch, sogar 6×2-Chassis mit gelenkter Nachlaufachse waren kein Problem.
Jetzt also die hohe Schule: Heavy Duty mit 40 und mehr Tonnen. Für das Upgrade bedienen sich die E-Truck-Entwickler in Göteborg nur zum Teil aus dem Regal vorhandener Aggregate. Für FM und FH kommt zum Beispiel eine modifizierte und rein optisch relativ schlanke Version des bekannten I-Shift-Getriebes zum Einsatz. Hintergrund ist nicht nur Kostenbewusstsein. Es gilt, die hohen Drehzahlen der drei am Getriebe-Eingang geflanschten E-Motoren in einen Bereich herunter zu übersetzen, der am Ende des Triebstrangs den Einsatz vorhandener Antriebsachsen erlaubt.
Nun braucht der E-Lkw-Entwickler ganz gewiss keine zwölf Gänge, um den weiten Bereich zwischen Anfahrvorgängen mit extrem hoher Last bis zum gemütlichen Gleiten auf der flachen Autobahn zu realisieren. Aber um alle Last- und Geschwindigkeitsbereiche abzudecken, dürfen es schon so drei bis vier Gänge sein. Denn auch wenn der E-Motor bekanntermaßen sehr drehmomentstark ist und seine Kraft praktisch sofort zur Verfügung steht: Je größer die Masse, umso herausfordernder werden die Fahrwiderstände. Und sei es nur das Anfahren gegen die Schwelle eines Bordsteins: Was beim Pkw kein Thema ist, wird bei 40 Tonnen sehr wohl zur Hürde. Da fließen kurzzeitig ungeheure Ströme, die man vermeiden muss, will man nicht dabei zusehen, wie sich Kabel und Motorenwicklungen in übelriechenden Rauch auflösen.
Was also bietet Volvo Trucks als Basis für die schweren E-Trucks: Vorhandene Getriebe und Achsen sind gesetzt. Dazu kommt ein E-Antrieb, bestehend aus drei baugleichen, im Dreieck angeordneten E-Motoren. Diese werden von bis zu sechs Li-Ionen-Batteriepacks mit Energie versorgt. 6×90 kWh macht maximal 540 kWh Kapazität. Laut Volvos Projektleiterin Anna Thordén reicht dieser Energievorrat für rund 300 km Reichweite bei einem durchschnittlichen Gesamtgewicht von 30 t. Das ist schon mal eine Ansage.
Aber: Leicht sind diese von Volvo selbst entwickelten Batterien auch nicht: Pro 90-kWh-Pack sind rund 500 kg zu verrechnen. Macht bei maximaler Ausstattung mit sechs Paketen rund 3 t Batteriegewicht. Die Energiedichte des Batteriestroms verdeutlicht eine Vergleichsrechnung: Um einen 30-t-Laster rund 300 km zu bewegen, sind im Mittel 25 l/100 km Diesel erforderlich. Ergibt 75 l auf 300 km, ergibt (mal 0,85) 64 kg Diesel plus Tankgewicht in Alu, sagen wir für einen 400-l-Tank etwa 50 kg. Dann sind wir bei 114 kg Systemgewicht beim Diesel, gegenüber 3.000 kg beim Stromer – für die gleiche Transportleistung.
Das ist das 26fache. Da kann man schon mal einen Schreck bekommen. Relativiert sich dann aber angesichts der vielen anderen Vorteile, die der batterieelektrische Bau-Lkw bietet.
Zu erfahren direkt mit einem FMX-8×4-Tridem als Baustoff-Pritsche mit Palfinger-Ladekran hinterm Fahrerhaus. Ein schweres Geschütz, das die Volvo-Techniker uns da bereitgestellt haben. Aber eines, für das nicht nur in Skandinavien ein Riesen-Markt besteht. Der Einsatz: eher regional, Reichweite ist also kaum ein Problem, die Ladeinfrastruktur auch nicht. Getankt wird an der Gleichstrom-Ladesäule mit 250 kW Leistung bei 500 bis 750 Volt, installiert meist auf dem heimischen Betriebshof.
Der Solo-Baustoff-8×4 fährt sich – naja – ganz normal. Wenn man mal davon absieht, dass wir kein Verbrenner-Geräusch hören. Vom Antrieb ist lediglich ein leichtes Summen zu erahnen, das sich mitunter, vor allem im Schub, zu einem leisen Heulen wandelt. Volvo hat hier zwei Rollmodi eingebaut, umschaltbar per Taster: Einmal den eher gewohnten mit nahezu freiem Rollen und Strom-Rückgewinnung (Rekuperation) nur bei betätigter Bremse. Dafür kann das Bremspedal dienen oder, wie gewohnt, der Retarder-Hebel.
Wenn nur der Gasfuß die Fahrt steuert
Mit der anderen Methode tue ich mich anfangs etwas schwer. Die reine Gaspedalsteuerung ermöglicht – einen extrem feinfühligen Gasfuß vorausgesetzt – das Fahren fast ausschließlich per Gaspedal. So also steuere ich die normale Fahrt: Nehme ich Gas weg, wird der Verzögerungswunsch genau als solcher interpretiert und der Zug bremst, Strom gewinnend. Mehr oder weniger vehement, je nach Gaspedalstellung. Diese Art der Fahrwunsch-Übermittlung ermöglicht – hat man sich erst einmal daran gewöhnt – sehr gleichmäßiges Fahren. Wobei praktisch jede Verzögerung zum Rekuperieren genutzt wird. Klar, dass unser auf 30 t aufgeladener Solo-Baustoff-Truck auf Schaltungen angewiesen ist. Doch davon bemerke ich zunächst gar nichts, so geschmeidig laufen sowohl Hoch- als auch Runterschaltungen ab. Lediglich im Display ist gut zu beobachten, dass ein Gangwechsel meist aus gleich drei Gangsprüngen besteht.
Später entdecke ich mit dem zweiten Probier-Truck dann doch noch ein paar Ruckeligkeiten. Der FH Electric als 4×2-Sattelzugmaschine ist vor einen Zweiachs-City-Sattel mit letzter gelenkter Achse gespannt und fährt sich nicht minder elegant. Bis auf jene Schnellstraßen-Ausfahrt, die am Ende eine Steigung und eine enge Kurve paart mit Vorfahrt achten. Mit dem Diesel sortiert I-Shift die Gänge in so einer Situation blitzschnell bis herunter in eine passable Kriechgeschwindigkeit. Mit dem Electric dauert das Sortieren bzw. Herunterschalten etwas länger. Ich meine, auch eine längere Gedenksekunde beim Wechsel von der großen in die kleine Gruppe beobachtet zu haben.
Gleichwohl überraschen beide Test-Trucks mit ansonsten untadeligem Fahrverhalten, das durchaus Spaß macht. Vor allem, wenn man die verschiedenen Fahr-Modi ausprobieren kann. Die Balance zu finden zwischen freiem Rollen und Ausnutzen der Schwungmasse und der Energie-Rückgewinnung durch aktives Bremsen ist nicht weniger herausfordernd als beim Diesel. Auf die Fahrer kommt hier ein Lernprozess zu: Bis zu 20 Prozent Reichweiten-Gewinn nur durch ausgefuchste Fahrweise sind den Volvo-Produkt-Strategen zufolge für einen geschulten und motivierten Fahrer drin. Selbst für einen Diesel-Routinier dürfte der Umstieg nicht schwer fallen. Die Physik der bewegten Massen gilt schließlich für beide. Und angesichts allfälligem Fahrermangel dürften junge Leute sich eher für den Job begeistern lassen, wenn sie einen hoch modernen und antrittsstarken E-Truck an die Hand bekommen.
Gebaut werden die schweren Elektro-FM, -FMX und -FH übrigens auf ein- und demselben Band wie die Dieselversionen. Die Preisgestaltung bleibt ein schwieriges Thema: Auch Volvo hält sich hier bedeckt und verweist auf die verschiedenen Fördermöglichkeiten in den europäischen Ländern. Fakt ist: In Norwegen etwa verkaufen sich die E-Trucks wie geschnitten Brot, nachdem die Pkw den Anfang gemacht haben. Glückliches Norwegen: Früher Öl in Hülle und Fülle, jetzt profitiert man von den Segnungen grünen Stroms aus Wasserkraft. Aber auch hierzulande bietet Beratung zu Lademöglichkeiten, Anschlussbedingungen und Stromversorgung mit einem eigenen Team.